Karneval der Toten
fest, dass es zutreffen könnte. Er äußerte diesen Gedanken. »Es fiel mir nur gerade ein. Es ist immerhin drei Jahre her, dass Sie sie gesehen haben.«
»Stimmt. Ich weiß auch nicht, warum ich sie mir gemerkt habe. Attraktiv war sie nicht. Allerdings – wenn es nicht dieselbe Frau wäre, bestünde ja keine Verbindung zwischen dieser Ermordeten und Mary.«
»Doch, es könnte trotzdem eine geben. Nämlich die Tatsache, dass es hier passiert ist, auf Ihrem Grundstück. Und dann ist da noch Flora. Auch das könnte eine Verbindung sein.«
Declan wollte gerade nach seinem Glas greifen, ließ die Hand aber in der Luft verharren. Erst Mary und dann auch noch Flora, beide Verluste mussten ihn plötzlich überwältigt haben. Mary, die so jung gestorben war, und Flora, ein Kind, dessen letzte Minuten – dessen letzte Monate womöglich – vielleicht eine einzige Qual gewesen waren, ohne dass ihr jemand zu Hilfe gekommen wäre – der Gedanke musste unerträglich sein.
Wieder spürte Jury, wie schwer die Verzweiflung auf Declan Scott lastete. Sie hing in der Luft, und Jury hatte das Gefühl, etwas tun zu müssen. Vielleicht war es das, was Macalvie nicht ertragen konnte. »Es tut mir Leid«, war alles, was er zu sagen wusste.
Den Blick gesenkt, schüttelte Declan den Kopf und hielt die Hand vor sich hin, als wollte er Entschuldigungen abwehren oder bloß um genügend Zeit bitten. Um zwei, drei Sekunden. »Schon gut. Ich glaube, ich bin immer noch nicht fertig damit.«
»Wieso sollten Sie auch?«
Er lächelte etwas bitter. »Sie haben Recht. Wieso sollte ich?« Er nickte und griff wieder nach seinem Weinglas. »Was aber diese Frau betrifft, ja, ich bin mir ziemlich sicher, dass es dieselbe war. Und vergessen Sie nicht – Dora Stout hat sie ebenfalls gesehen. Dora war hier viele Jahre Köchin.«
»Ich weiß. Ich habe ihr bereits einen Besuch abgestattet.«
»Dora ging, weil ihr die Arbeit mit der Zeit zu viel wurde. Außerdem gab es inzwischen ja Rebecca Owen. Sie war schon einige Zeit bei Mary in Stellung gewesen, als Mary noch mit Baumann verheiratet war. Die beiden konnten sich nicht riechen, das kann ich Ihnen sagen. Rebecca mochte ihn gar nicht.«
Jury ließ sich das durch den Kopf gehen. »Dora Stout konnte sich die Frau damals nicht richtig ansehen, meinte aber, es hätte durchaus die Tote sein können. Wissen Sie, was von dieser Fremden am einprägsamsten ist? Ihre extreme Reizlosigkeit. Seltsam, dass einem so was in Erinnerung bleibt. Man würde doch meinen, es ist absolut nebensächlich. Ich weiß auch nicht, wieso das so ist. Nahm Dora es denn übel, dass Mrs. Owen ins Haus kam?«
»Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube sogar, sie war froh darüber. Sie hätte Mary ja nicht einfach im Stich lassen wollen.« Er unterbrach sich, als Rebecca Owen hereinkam, um das Geschirr abzutragen. Es sei köstlich gewesen, sagte Jury zu ihr.
Sie bedankte sich und meinte, gleich käme noch »was Süßes«. Dann schob sie sich durch die Schwingtür.
Declan lachte. »›Was Süßes‹. Herrlich!«
Sie erschien gleich wieder mit hohen, dünnwandigen Gläsern, die mit Dessertcreme gefüllt waren, stellte sie vor die beiden hin und ging dann zur Anrichte hinüber, um sich an die Zubereitung des Kaffees zu machen.
»Was hat es mit dieser englischen Vorliebe für Dessertcreme auf sich, Superintendent? Ist Ihnen die schon mal aufgefallen?«
»Natürlich, ich bin schließlich von Beruf Ermittler.« Jury hatte ein Löffelchen davon probiert und fügte hinzu: »Das hier ist aber keine gewöhnliche Dessertcreme.«
Rebecca meinte: »Es ist eine Zabaione. Ich fürchte, ich habe zu viel Marsala hineingetan.«
»Kann man denn davon zu viel hineintun?«, wollte Jury wissen.
Sie lächelte und fragte Declan: »Soll ich den Kaffee gleich servieren oder wollen Sie noch warten?«
»Ach, bringen Sie ihn doch bitte gleich, Rebecca.« Zu Jury sagte er: »Wie wär’s mit Portwein?«
Jury schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Ich bringe gar nichts mehr runter.«
»Danke, das wär’s dann. Wir haben alles.«
Sie schenkte ihnen den Kaffee ein und ging durch die Schwingtür wieder hinaus.
»Ich sage es höchst ungern«, meinte Jury, »aber vielleicht sollte ich jetzt lieber den Burschen aufstöbern, der mich hergebracht hat. Oder sonst einen in dem provisorischen Büro da draußen auf Ihrem Grundstück. Schließlich muss ich wieder nach Launceston.«
»Wieso denn? Bleiben Sie doch hier. Wie Sie sehen, sind wir heute Abend nicht
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