Karneval der Toten
Das fand sie nun recht amüsant.
Sonst aber keiner.
»Dreieinhalb Jahre sind es jetzt«, sagte William Hardcastle, »dass die Frau unsere Elsie totgefahren hat. Und jetzt schicken sie einem Scotland Yard vorbei. Bisschen spät, würd ich mal sagen.« Er schnippte die Asche von seiner Zigarette, die mittlerweile bis auf einen Stummel heruntergeraucht war. Er schien sich in seinen Sachen etwas unwohl zu fühlen, als fände er es zu anstrengend, ein frisches weißes Hemd zu tragen, und hätte lieber seine Strickjacke an, wie sonst, wenn er bei einer Tasse Tee vor dem Fernseher saß.
Jury hatte seinen Mantel nicht ausgezogen. Macalvies diesbezüglicher Standpunkt leuchtete ihm ein. Wiggins legte seinen nun aber quasi als Akt der Selbstverteidigung ab und drapierte ihn so über die Armlehne des Sessels, neben dem Petey stand, dass das Kleidungsstück eine Art Barriere zwischen ihnen bildete. Das Kind ließ sich jedoch nicht abwimmeln und fuhr verstohlen mit der Hand am Mantel entlang.
»Es geht hier um einen neuen Fall, Mr. Hardcastle. Sie haben vermutlich gehört, dass auf dem Landsitz der Scotts eine Frau ermordet wurde.« Den Ausdruck »Landsitz« hätte er gern gleich wieder zurückgenommen, denn er hörte sich nach Reichtum und Privilegien und (für William Hardcastle) Gefühllosigkeit und Mangel an moralischem Rückgrat an.
Darauf erwiderte Hardcastle salbungsvoll: »Jeder kriegt das, was er verdient, hab ich mir gesagt, wie ich das gelesen hab.« Er stieß den Zeigefinger heftig in Jurys Richtung.
Sein klischeehaftes Gewäsch anhören zu müssen, nervte Jury. »Was wollen Sie damit sagen? Dass Mr. Scott solches Unglück irgendwie verdient hat?«
»Ein Fluch ist das, sag ich. Diese Leute sind verflucht.«
»Declan Scott würde Ihnen da wohl zustimmen«, sagte Jury nüchtern, »wenn man bedenkt, dass er Frau und Tochter verloren hat. Und jetzt wird auf seinem Anwesen auch noch eine Fremde ermordet.«
Mit dem anderen Finger auf ihn deutend, gab Hardcastle zurück: »Wo gehobelt wird..., na ja, Sie wissen schon! Eins sag ich Ihnen, wie Ihre Leute dann angedeutet haben, ich hätte was mit dem Verschwinden von dem kleinen Mädchen zu tun, das hat uns nun gar nicht gefallen. Stimmt’s, Maeve?«
War dies das Signal, nun die Tränen fließen zu lassen? Blitzschnell zog Maeve ihr Taschentuch hervor und drückte es auf die Augen, ohne allerdings irgendwelche Tränen zu vergießen. »Unsere arme Elsie. Furchtbar! Das war schon kriminell. Und die Scott kriegt bloß einen Klaps auf die Finger. So ist das, wenn man Geld hat. Da kann man auf der Straße ein Kind umfahren, und passieren tut einem nichts. Kriminell.«
»El-suh-uh!« Petey probierte aus, wie dieses Wort klang, egal, welches Wort es war. »El-suh-uh.«
»Dem armen Petey geht’s ja bestimmt noch viel näher wie uns, kann ich mir denken.«
Petey lächelte breit ins Zimmer, bevor er den stieren Blick wieder Wiggins zuwandte.
Billige Gefühlsduselei schien sich im Raum auszubreiten. »Da Flora Baumann ziemlich bald nach dem Unfalltod Ihrer Tochter verschwand, war es nahe liegend, dass Sie unter Verdacht gerieten, Mr. Hardcastle. Das wäre jedem in Ihrer Lage so ergangen, schließlich muss die Polizei alle Möglichkeiten in Betracht ziehen. Aber ich kann Ihren Ärger natürlich verstehen.« Und das ganze andere platte Geschwätz, dachte Jury.
»Sie können sich ja wohl denken, wie meinem William zumute war«, meinte Maeve, »da hat man praktisch ihm angehängt, er wär mit der Kleinen abgehauen.«
»Was«, sagte Mr. Hardcastle, »wollte man mir denn da unterstellen? Dass ich mich rächen wollte?«
»Das hätte Ihnen wahrscheinlich niemand zum Vorwurf gemacht.«
Jurys Ton war so sanft und versöhnlich, dass es Hardcastle schwer fiel, sich weiter verärgert zu geben. Er zündete sich eine neue Zigarette an. Jury sah sich im Zimmer um. In finanziellen Schwierigkeiten waren die Hardcastles offensichtlich nicht. »Einen tollen Fernseher haben Sie da.« Das Ding war gigantisch, sie hatten bestimmt mindestens tausend Pfund dafür auf den Tisch gelegt. Der Wagen, der draußen neben dem Ford der Polizei geparkt stand, war ein BMW. Diese Leute waren aber keine typischen BMW-Fahrer. Das Mobiliar war ziemlich abgenutzt, doch würden Maeve und William sich bestimmt nicht zu einer völlig neuen Einrichtung durchringen, sondern im Fall von unverhofftem Geldsegen irgendetwas Protziges anschaffen, würden ihr Geld für Dinge ausgeben, mit denen man prahlen konnte –
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