Karneval der Toten
Gate.«
Melrose war überrascht. »Dort war ich vor ein paar Stunden erst. Habe ich etwas verpasst?«
»Ich wollte mit Declan Scott reden.«
Nun war Jury überrascht. Er wollte schon einwenden, Macalvie hätte Declan Scott doch ihm überlassen, tat es aber nicht.
Melrose sagte: »Als ich ging, wollten sie gerade zu Abend essen.«
»Ich weiß. Ich kam dazwischen. Während sie aßen, ging ich in die Küche, um mit Rebecca Owen zu sprechen. Sie schenkte mir eine Tasse Tee ein. Nette Frau. Sie kam am selben Tag nach Angel Gate wie unsere große Geheimnisvolle. Ich hatte gehofft, sie könnte sich bei dem Opfer vielleicht an etwas erinnern. Tat sie aber nicht. Ich fing von vorn an. Wieder das Gleiche. Keine Spur von irgendjemandem. Sie war nicht dabei, als die geheimnisvolle Frau zum Haus kam, konnte also auch nicht sagen, ob Scott sie gesehen hatte oder nicht.«
»Wieso sollte er lügen und behaupten, er hätte sie zusammen mit seiner Frau gesehen?«
»Hm, na ja. Das sagte Rebecca Owen auch: ›Meine Güte, wieso sollte Mr. Scott deswegen lügen?‹ Und dann diese Nichte von ihr...«
»Lulu«, sagte Melrose.
»Lulu sagte, ›Weil alle Leute gern lügen‹, und mampfte dabei ein Plätzchen. Die hat die Augen ja überall. Und ihr bescheuerter Köter auch.«
»›Weil alle Leute gern lügen‹«, sagte Melrose. »Klingt nach einer von ihren mysteriösen Sentenzen. Das will nichts heißen.«
»Hört, hört!« Macalvie deutete mit gekrümmtem Daumen auf Melrose und sah dabei die anderen vielsagend an. »Unser Experte für kindliches Verhalten hat gesprochen.«
»Ich weise nur darauf hin, dass Lulu einen gewissen Hang zum Theatralischen hat. Sie freut sich, wenn man sie ungläubig anguckt.«
Macalvie sagte: »Ob ich Flora denn je finden würde, hat sie mich gefragt.« Er blickte unruhig im Pub umher. »Ich sagte, ich wüsste es nicht. Worauf sie dann meinte, ›Wieso nicht? Ist die Polizei nicht schlau genug?‹«
»Gute Frage«, meinte Cody kichernd.
Macalvie formte den Mund zu einem kleinen Kreis, durch den er den Rauch ausblies. »Hm, ja, nachdem ich ihr eins auf die Mütze gegeben hatte, gab ich bescheiden zu, ›Nein, sind wir wohl nicht.‹«
»›Schade‹, meinte sie, als wäre es gar kein Witz gewesen.« Er zog wieder an seiner Zigarre.
Solange sie dort am Tisch gesessen hatten, war etwa ein weiteres Dutzend Gäste hereingekommen. Ein ganz gewöhnlicher Abend im Pub. Falls es so etwas überhaupt gab.
Macalvie fuhr fort: »Dann fragte ich Lulu, ob sie Flora vermisste. ›Nein‹, sagte sie.«
»Darüber regte sich ihre Tante aber ziemlich auf. ›Lulu, du weißt ja nicht, was du redest. Du und Flora, ihr hattet doch viel Spaß zusammen. ‹ Ein bisschen Spaß, mehr wollte Lulu nicht zugestehen. Dieses Gör würde mich schon nach fünf Minuten auf die Palme bringen. Die ist ja vielleicht widerspenstig!«
Erstaunt hob Wiggins den Blick von seinen restlichen Kartoffeln (er brauchte immer eine Ewigkeit, bis er mit einer Mahlzeit fertig war).
»Lulu stand also – oder vielmehr hüpfte von einem Bein aufs andere, als müsste sie dringend aufs Klo, während der Köter an den Wänden hochsprang, als hätte er Entzugserscheinungen. Ich stand vom Tisch auf, dankte Miss Owen und wandte mich zum Gehen. Da sagte Lulu plötzlich, ›Ich weiß, wer sie mitgenommen hat.‹«
»Ah«, machte Melrose.
»›Ah, was?‹« Als Melrose nur stumm die Achseln zuckte, redete Macalvie weiter. »Na, da war ich aber platt. Ich sah sie an, wie sie mich ungerührt betrachtete und dabei ihren Tee umrührte und darauf wartete, dass ich nachfragte. Okay. Ich gab auf und fragte, ›Wer?‹«
»›Der Kinderdieb.‹«
»Ich wollte gerade den Mund aufmachen und fragen, was zum Teufel sie damit meinte, da sagte sie: ›Mehr verrat ich Ihnen nicht.‹
Ich zwang meine Hände, sie nicht zu erwürgen, und fragte, warum. Warum sie mir nicht mehr sagen wollte.
›Weil... mehr weiß ich auch nicht. Der Kinderdieb eben.‹ Da sehen Sie es.« Er hielt inne. »Kein Wunder, dass ich es hasse, mit Kindern zu reden.«
Melrose wusste, dass das nicht der Grund war. »Lulu ist aber kein gewöhnliches Kind.«
»Gewöhnliche Kinder gibt es nicht.« Macalvie wandte sich an Jury. »Was denken Sie darüber?«
»Über Lulu? Ich weiß nicht. Ich habe noch nicht mit ihr gesprochen.«
»Ich wette, Sie könnten etwas aus ihr herauskriegen.«
Jury leerte sein Bierglas und stellte es hin. »Ich weiß nicht, ob man mit Kindern reden kann, wenn man
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