Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Karneval der Toten

Titel: Karneval der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Grimes
Vom Netzwerk:
Richard Jury hätte sich in letzter Zeit ja allzu rar gemacht.
    »Und der armen Mrs. W -«
    Damit meinte sie Mrs. Wasserman in der Gartenwohnung, deren Leben, wenn man Carol-Anne so hörte, förmlich von Jurys Anwesenheit hier in Islington abhing.
    »- ging es ja so furchtbar schlecht mit ihrer Bronchitis und dem allem.«
    »Bronchitis hatte sie doch schon immer. Immerhin ist sie fast achtzig. Da muss man ab und zu mal mit einem schlechten Tag rechnen.«
    Mittlerweile fertig mit ihren Zehennägeln, steckte Carol-Anne das Bürstchen in die Flasche zurück, verschränkte die Arme über der Brust und streckte die Beine aus, um den Effekt zu begutachten.
    Aus Jurys Perspektive gesehen, war der Effekt sensationell. Wenn sie die Arme auf diese Weise verschränkt hielt, verschwand der Ausschnitt ihres Kleides praktisch völlig. Sie trug ein grellrosa Baumwollkleid, das sehr schlicht, sehr anliegend und sehr knapp war. Rosa Haut, rosa Nägel, rosa Kleid, flammend rotgoldenes Haar.
    »Es ist, als ob wir in der Sauna sitzen. Nur dass wir nicht nackt sind.« Er schaute wieder auf den sich ins Nichts auflösenden Ausschnitt, den kurzen Rock. »Das nehme ich zurück.«
    Sie saßen und verharrten in Schweigen, was ihr aber nach zwei Sekunden schon zu viel war, wenn sie sich stattdessen beschweren konnte. »Na, dann gehe ich eben runter ins Nine-One-Nine.«
    Jury war überrascht. »Ist Stan wieder da?« Er sah an die Zimmerdecke, die gleichzeitig Stan Keelers Fußboden war. Aus der Tatsache, dass Stone nicht bei Carol-Anne war, schloss er, dass der Hund bei Stan war.
    »Ja, der ist schon wieder da. Bin ich aber froh, dass der wenigstens da ist, weil gewisse andere Herrschaften ja nicht da sind, außer ab und zu mal über Nacht.« Damit wollte sie Jurys Eifersucht wecken und ihm Schuldgefühle einjagen, was ihr zu Jurys Missfallen auch ein bisschen gelang. Alberner Idiot, dachte er.
    Sie sagte: »Ich war in letzter Zeit oft im Nine-One-Nine.«
    Das Nine-One-Nine war der Klub, in dem Stan auftrat, wenn er in London weilte. Über die selbstgefällige Art, in der sie es sagte, musste Jury unwillkürlich lachen. »Sie sind ja ein Groupie.« Er lächelte.
    Ihre pink beperlten Lippen öffneten sich voller Erstaunen. Selbst ihre Zehen bogen sich indigniert. »Bin ich überhaupt nicht ! Da bin ich schon was Besseres!« Dampf schien von ihrer heißrosa Oberfläche emporzusteigen.
    »Sie sind besser als alles«, sagte er und brachte sie damit vollends aus dem Konzept. »Stan hat aber doch bestimmt Groupies. Stan ist total angesagt. Seine Band hatte doch schon immer eine riesige Fangemeinde. Wenn der aus seinem Underground hervorkäme, wäre er der populärste Musiker in ganz London. Himmel, sogar auftreten tut er in einem Keller.« Zum Nine-One-Nine, in einer kleinen Nebenstraße gelegen, ging es ein paar Treppen hinunter.
    Seine Bemerkung »besser als alles« hatte Carol-Anne gewissermaßen etwas aufgemuntert, und so lüpfte sie ihre Haarmähne aus dem Nacken, mit einer Bewegung, an deren Anblick Jury sich gut gewöhnen könnte – aber lieber nicht. Sie zupfte am Ausschnitt ihres Kleides herum, breitete es um sich aus. Auch so eine Bewegung, an deren Anblick er sich gut gewöhnen könnte.
    »Ich komme mit«, sagte er und zog die Schuhe zu sich herüber. Er hatte sie ausgezogen, um ihren Zehen Gesellschaft zu leisten, und saß in Strumpfsocken da.
    Wieder staunte sie nicht schlecht. » Sie?«
    »Jawohl, ich. Der Unvergleichliche, Einzigartige.« Er machte sich daran, die Schuhe zuzubinden.
    Sie stand auf und rückte ihr Fähnchen von einem Kleid zurecht. Auch so eine gute Bewegung, dachte Jury. Die Hände auf den Hüften, meinte sie etwas von oben herab: »Na, wenn Sie meinen, Sie schaffen es.«
    Mach mir doch nichts vor, dachte Jury. Er wusste, dass sie ihn gern dabeihaben wollte.
    »Ich kann aber nicht den ganzen Abend um Sie rumtanzen, wissen Sie.«
    »O, machen Sie sich um mich mal keine Sorgen.« Schwungvoll nahm er sein Jackett und fuhr in den Ärmel. »Ich habe nämlich auch meine Groupies.«

26
    »Baumann wurde noch nie verhaftet – ich korrigiere: Einmal gab es eine Vorladung wegen Trunkenheit am Steuer. Kann man sich ja denken!«
    Jury hörte, wie es am anderen Ende der Leitung knisterte, dann ertönten Stimmen im Hintergrund, dann kam Johnnys Stimme wieder, redete weiter über Viktor Baumann. »Der ist wie Sand – rinnt einem glatt durch die Finger. Eine Freundin hat er – oder vielleicht sollte ich sagen, Spießgesellin –

Weitere Kostenlose Bücher