Karneval der Toten
über ihre Aktivitäten damals in Paris?«
Kurzes Schweigen, während Johnny anscheinend seinen Schreibtisch durchsuchte, als könnte eine Pariser Lena Banks vielleicht plötzlich in einer Schublade zum Vorschein kommen.
Jury lachte. »Schon gut, Johnny. Sie können ja schließlich nicht alles wissen.«
»Wieso nicht?«
»Declan Scott war damals auch in Paris. Das war, nachdem Mary Scott gestorben und Flora verschwunden war. Er war verständlicherweise ziemlich deprimiert. Während dieser Zeit begegnete er einer Frau, die sich Georgina Fox nannte. Ihr Verhältnis dauerte ein paar Wochen, sagte er, glaube ich. Worauf ich hinauswill: Georgina Fox ist Lena Banks.«
Am anderen Ende der Leitung glaubte Jury etwas fallen zu hören – einen Stuhl, einen Mann. »Johnny?«
»Bin wieder da. Was zum Teufel hatte die vor, was glauben Sie?«
»Wollte mit Declan Scott ein Verhältnis anfangen, so wie es aussieht.«
»Interessant. Ihr Haupt verhältnis hatte sie aber mit Viktor Baumann. Der war immer ihr Hauptverhältnis. Melden Sie sich, wenn Sie was herauskriegen.«
»Ist gut.«
Nachdem er aufgelegt hatte, fiel Jurys Blick auf das Fotoalbum. Das würde er einfach mitnehmen, wenn er Viktor Baumann morgen früh einen Besuch abstattete.
27
Jury trank seinen ersten Becher Tee am Morgen und starrte aus dem Wohnzimmerfenster auf das längliche Parkstück gegenüber. Er hatte schon immer einmal dort herumschlendern, sich einfach auf eine Bank setzen und ins Leere starren wollen, aber nie die Zeit dafür gefunden. Stattdessen ging er in der Wohnung umher, nahm hier ein Buch, dort eine Zeitschrift in die Hand und dachte über Viktor Baumann und die Fotos nach, die er aus dem Lagerraum im Culross unbemerkt mitgenommen hatte. Mit seinem zweiten Becher Tee stand er nun wieder vor dem Fenster und überlegte, wie er es bewerkstelligen sollte, sich einen besseren, etwas einschmeichelnderen Zugang zu Viktor Baumann zu verschaffen, und kam einfach auf nichts.
Der dritte Becher Tee. Er zog den Mantel über, stopfte sich die Bilder in eine Innentasche und verließ die Wohnung.
Jury ging auf der Ludgate Hill in Richtung Cheapside. Irgendwie mochte er diese Mischung aus hohen modernen Gebäuden in Glas und Stein und den etwas düsteren, gewundenen Sträßchen. Es gab kleine Geschäfte – einen indischen Imbiss, eine chemische Reinigung – und andere, furchtbar teure wie Penhaligan’s (Hautpflege und Parfümwässer) oder Halcyon Days (wo man für schlappe hundert Pfund ein Emailledöschen erstehen konnte). Wie sich die schmalen Straßen neben den eleganten Büroblocks behaupten konnten, war Jury ein Rätsel.
Er kam bis zu der Café-Bar, wo er und Mickey Haggerty damals gesessen und geredet hatten. Er ging hinein. Als bräuchte er jetzt noch eine Tasse Tee oder Kaffee! Die hübsche Bedienung stand hinter der Theke, als hätte sie sich nicht von der Stelle gerührt, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte, als stünde sie seit Wochen oder Monaten reglos da. Die Zeit war wie eine betrunkene Obdachlose, die sich ihm zuwandte und dann wieder von ihm abließ.
Er bestellte einen Cappuccino. »Na, Sie hab ich ja schon länger nicht mehr gesehen«, sagte die Bedienung, nachdem sie ihm das Getränk hingestellt hatte.
»Nein. Ich hatte in der City was zu erledigen. Ich bin kein Stammgast.«
Sie schien enttäuscht, als sie es hörte. Er bedankte sich für den Kaffee, und sie ging wieder.
Während er trank, dachte er nicht an Viktor Baumann, sondern an Mickey. Er wandte sich vom Tresen ab und ließ den Blick über die Metalltische und -stühle schweifen, suchte den Platz, an dem sie zusammengesessen hatten. Er würde nie wieder in die City kommen können, ohne sich daran zu erinnern. » Gehen schlimme Sorgen dir durch Mark und Bein...«
Armer Mickey!
Jury verließ das Café.
Grace war vielleicht eine Spur entgegenkommender, gab sich jedoch genauso frostig, als Jury am späten Vormittag bei ihr vorstellig wurde. »Und diesmal, Grace -«
Sie zuckte gequält zusammen.
»- habe ich einen Termin.« Er stellte sich vor ihren Schreibtisch, streckte die Hand aus und tippte auf das große lederne Buch.
Sie drückte einen Knopf und teilte Mr. Baumann mit, Superintendent Jury sei eingetroffen.
Vollkommen selbstbeherrscht wie eh und je kam Viktor Baumann hinter seinem Schreibtisch hervor und streckte ihm die Hand hin. »Schön, Sie wiederzusehen, Superintendent.« Er deutete auf denselben Ledersessel wie beim letzten Mal, und Jury setzte
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