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Karneval der Toten

Titel: Karneval der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Grimes
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die ›alte Schulkameradin‹ doch wieder ein.«
    »In Bezug auf Declan haben Sie Recht. Das ist einer seiner großen Vorzüge. Und er hat viele.« Sie lehnte sich zurück, die Hände im Schoß gefaltet. »Vielleicht sollte man ihm gegenüber deshalb lieber nicht zu Ausflüchten greifen.« Sie wandte das Gesicht zum Fenster und dem dahinter liegenden Garten. »Uns kommt das Leben doch so unstet vor – da endet etwas, etwas anderes beginnt, wird abgebrochen, dann kommt wieder etwas anderes – Heirat, Scheidung, Wiederheirat, ein Kind... der Tod.« An dieser Stelle hielt sie inne und betrachtete das Feuer. »Und nichts durchzieht es, wie es einem scheint. Aber bei einer Familie gibt es doch etwas, was sie durchzieht, etwas hält sie zusammen. Eine Familie, das ist sittlicher Halt.«
    »Aber wenn man sich mit anderen Familienmitgliedern nicht verträgt?«
    Sie verdrehte die Augen, schöne, graue Augen, die tief in ihren Höhlen lagen und die Wangenknochen dadurch noch stärker betonten. »Sagen Sie jetzt bloß nicht ›funktionsgestört‹? Früher hieß es ›unglücklich‹, bei Tolstoi jedenfalls. Aber von diesen guten alten Wörtern ist ja keines mehr wohlgelitten. Vage sind sie, abstrakt. Aber ›funktionsgestört‹ ist ja so konkret, nicht wahr? Es klingt nach einem Fehler in der Elektronik eines Autos. Auf ein so vielgestaltiges Konzept wie eine Familie angewandt, bedeutet es jedoch einfach nur ›unglücklich‹. Was ich mit meiner flammenden Rede hier bloß sagen will: die Familie ist wichtig. Es erstaunt mich, wenn allgemein erwartet wird, Familienmitglieder hätten sich zu vertragen, und wenn sie es nicht tun, haben sie einen enttäuscht. Ich finde, eine Familie ist viel größer als die Summe ihrer Teile. Etwas durchzieht sie, wie ich sagte, wie das Muster hier in diesem Teppich.« Sie senkte den Blick und fuhr mit dem Schuh die fedrigen grünen Fransen nach.
    Jury stützte den Kopf an die Rückenlehne seines Sessels. »Heißt es denn nicht, was eine Familie durchzieht, ist ganz einfach Blut?«
    »Schon möglich. Declan ist aber kein Blutsverwandter, und trotzdem fühle ich mich ihm verbunden.« Sie erhob sich. »Nein, bleiben Sie nur sitzen, ich hole nur den Kaffee. Sie trinken doch einen?«
    »Aber gern.«
    Lächelnd ging sie hinaus.
    Während ihrer Abwesenheit stand Jury auf und ging im Zimmer umher. Gegenüber vom Kamin befand sich eine Wand mit Fotos. Beim Anblick dieses unbestreitbaren Beweises dessen, wovon sie gesprochen hatte – nämlich Familie -, überkam ihn wieder jenes Gefühl von Trauer und Verlust. Außer den beiden Fotos von seinem Vater und seiner Mutter, die er damals an sich genommen hatte, besaß er kein Erinnerungsstück an früher. Und Alice hatte hier Dutzende, jedes gerahmt und an seinem Platz, alle säuberlich und vermutlich einer gewissen Ordnung folgend aufgehängt. Viele zeigten ihre Tochter Mary oder Mary mit Declan. Dann folgte ein halbes Dutzend von Flora in Gesellschaft verschiedener Leute. Er seufzte. Unbestreitbare Beweise, schön und gut. Nur hatte Alice Miers vergessen, dass manche Leute eine Familie hatten, andere aber nicht.
    Das Haus war schmal, aber ziemlich tief. Hinten führte eine Verandatür in einen mit Winterpflanzen begrünten Garten hinaus. Neben dem Kamin tickte schon die ganze Zeit eine mit grüngoldener Chinoiserie verzierte Standuhr leise im Hintergrund. Über dem hellen Marmorsims hing ein großer ovaler Spiegel. Jury betrachtete sich darin und fand, dass er eigentlich genauso aussah wie immer.
    Alice kam mit einem schlichten, schwarzen Blechtablett wieder, auf dem eine Thermoskanne Kaffee stand, dazu Henkeltassen, Zucker und Milch. Jury mochte diese unkomplizierte Art, es war ihm lieber als ein silbernes Kaffeeservice, bei dem er immer das Gefühl hatte, er müsse die Kunst des Trinkens wieder ganz von vorn lernen. Sie setzten sich wieder.
    »Wieso schmunzeln Sie? Lachen Sie nicht über meine Thermoskanne. Sonst gehen Sie und holen einen Teewärmer. Die sind nahezu nutzlos.« Sie hielt die Kanne in die Höhe. »Milch? Zucker?«
    »Ja, bitte, von beidem ganz viel.« Er beugte sich vor, um den Henkelbecher in Empfang zu nehmen. »Ich weiß, es ist ein schmerzliches Thema, aber Sie haben doch bestimmt sehr viel nachgedacht über das, was mit Ihrer Enkelin geschehen ist.«
    Sie sah ihm fest in die Augen, als könnte er verschwinden, wenn sie den Blick kurz abwandte – ganz so, wie Lulu es wahrscheinlich immer befürchtete -, und zum Trost bliebe ihr nur

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