Karparthianer 01 Mein dunkler Prinz
bemerkte Raven ein wenig wehmütig.
Es war eine schöne Vorstellung. Mikhail wünschte sich, sie in die Arme nehmen und vor allem Übel der Welt beschützen zu können. Er lebte in selbst gewählter Einsamkeit, doch Raven hatte keine Wahl.
»In einem Land, in dem die meisten Menschen arm sind, erweckt unser Reichtum Sorge und Neid. Für mein Volk ist mein Wort Gesetz. Ich kümmere mich um die Dinge, die unseren Status oder das Leben jedes Einzelnen von uns bedrohen. Und es war mein mangelndes Urteilsvermögen, das Noelle in Gefahr brachte. Daher ist es auch meine Pflicht, ihre Mörder zur Strecke zu bringen.«
»Warum hast du denn die örtliche Polizei nicht hinzuge-zogen?« Raven versuchte, seine Situation zu verstehen, und tastete sich vorsichtig an das Problem heran.
»Ich bin die einzige Autoritätsperson, die von meinem 78
Volk akzeptiert wird. Ich bin das Gesetz.«
»Ganz allein?«
»Natürlich gibt es auch andere, die sich an der Suche beteiligen werden, doch sie alle gehorchen meinen Befehlen.
Ich allein treffe alle Entscheidungen.«
»Staatsanwalt, Richter und Henker in einer Person?«, fragte Raven. Sie wartete gespannt auf seine Antwort. Ihre Sinne täuschten sie nie. Sie wäre in der Lage gewesen zu spüren, ob Mikhail das Böse in sich trug, gleichgültig, wie gut er seinen Geist auch abschirmen mochte. Nicht einmal er konnte es verhindern, ab und zu die KontroUe zu verlieren.
Raven bemerkte nicht einmal, dass sie stehen geblieben war, bis Mikhail ihr sanft die Arme rieb, um ihren zitternden Körper aufzuwärmen.
»Jetzt fürchtest du dich vor mir«, bemerkte er leise. Seine Stimme klang müde, als hätten ihre Worte ihn verletzt. Und so war es auch. Es war seine Absicht gewesen, sie zu ängstigen und ihr deutlich zu machen, wie gefährlich er war. Doch nun hatte er sein Ziel erreicht und wünschte sich, es nicht getan zu haben.
Sein Tonfall brach Raven das Herz. »Ich habe keine Angst vor dir, Mikhail«, erwiderte sie leise. Sie hob den Kopf und betrachtete sein Gesicht, das vom Mondschein erhellt wurde. »Ich habe Angst um dich. So große Macht kann gefährlich sein. Ich glaube, dass die Verantwortung, die du trägst, dich eines Tages zerstören könnte. Du triffst Entscheidungen über Leben und Tod, die besser Gott allein überlassen bleiben sollten.«
Mikhail liebkoste ihr Gesicht, ließ seine Fingerspitzen über ihre vollen Lippen gleiten. Ihre Augen schienen ihr schmales Gesicht zu dominieren und verrieten ihm, was sie fühlte.
Mikhail sah Besorgnis, Mitgefühl, Liebe und eine tiefe, reine Unschuld, die ihn erschütterte. Sie machte sich Sorgen um 79
ihn. Sorgen.
Mikhail stöhnte auf und wandte sich von ihr ab. Raven ahnte nicht einmal, was sie für jemanden wie ihn bedeutete.
Er wusste, dass er ihr nicht widerstehen konnte, und verabscheute sich für seine Selbstsucht.
»Mikhail.« Raven berührte seinen Arm. Flammen schienen über seine Haut zu züngeln. Er hatte noch nichts zu sich genommen, und die Mischung aus Liebe, Leidenschaft und Hunger war verwirrend, verführerisch und äußerst gefährlich. Wie hätte er sich nicht in sie verlieben sollen, da er doch ihre Gedanken lesen und sie so auf intimste Weise kennen lernen konnte? Raven war das Licht in seiner Finsternis, seine zweite Hälfte. Obwohl er ein Tabu brach und vermudich einer Laune der Natur erlegen war, konnte er nichts anderes tun, als Raven zu lieben.
»Lass mich dir helfen. Teile diese schreckliche Verantwortung mit mir. Schließ mich nicht aus.« Die Berührung ihrer Hand, die Wärme in ihrem Blick und die Aufrichtigkeit und Reinheit in ihrer Seele ließen in Mikhail eine unge-kannte Sanftheit die Oberhand gewinnen.
Er zog sie an sich. Nur zu deutlich war er sich seiner Sehnsucht nach ihr bewusst. Abermals stöhnte er leise auf, hob Raven auf seine Arme und flüsterte einen Befehl. Dann hastete er durch den Wald, so schnell er nur konnte.
Raven blinzelte und fand sich in Mikhails Bibliothek wieder. Sie betrachtete die Schatten, die das Kaminfeuer an die Wände warf, und überlegte, wie sie hierher gekommen war.
Sie konnte sich nicht daran erinnern, zu seinem Haus gegangen zu sein, und dennoch war sie hier. Mikhail hatte sein Hemd geöffnet, sodass sie die starken Muskeln seiner Brust sehen konnte. Sein Blick ruhte auf ihrem Gesicht, er betrachtete sie so regungslos und wachsam, dass er sie an 80
ein Raubtier erinnerte. Mikhail versuchte nicht einmal, sein Verlangen nach ihr zu verbergen.
»Ich gebe dir
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