Karparthianer 02 Dunkle Macht des Herzens
spürbar vorhanden gewesen, ehe er genauso schnell wieder verschwunden war.
Jacques war so abgelenkt von den Erinnerungen, die ihn überfluteten, dass sich sein Griff um Shea lockerte.
Sie spürte, wie seine Aufmerksamkeit nachließ, spannte sich innerlich an und wartete auf den richtigen Augenblick. Sowie der geistige Zwang der beiden Männer nachließ, riss sie sich von Gregoris Handgelenk los und rannte davon, hinaus in den tobenden Sturm.
Die Luft in der Hütte erstarrte, sie schien wie aufgeladen mit Dunkelheit. Jacques' Gesichtszüge waren wie aus Granit, seine Augen ausdruckslos und hart. Er nahm einen letzten Schluck von der belebenden Flüssigkeit, schloss die Wunde und hob den Kopf. »Ich danke euch für eure Hilfe, muss euch aber bitten zu gehen. Vielleicht versuchst du morgen Abend, meinen Geist wieder in Ordnung zu bringen, Heiler.« Sein Blick war auf die Nacht gerichtet und sein Tonfall drohend und unheilverkündend.
»Jacques ...«, setzte Raven zögernd an. Dieser Fremde 295
war mehr Tier als Mann, nicht der freundliche Schwager, den sie von früher kannte. Damals war Jacques unbekümmert und fröhlich und immer zu jungenhaften Streichen aufgelegt gewesen. Jetzt wirkte er gnadenlos, gefährlich, vielleicht sogar wahnsinnig.
Mikhail zog sie schweigend aus der Hütte, wobei sich die Umrisse seines Körpers bereits aufzulösen begannen.
Das müssen die beiden untereinander ausmachen, mein Liebes.
Er wirkt so gefährlich.
Er kann seiner Gefährtin keinen Schaden zufügen. Mikhail versuchte, tapfer daran zu glauben. In Jacques war tiefe Dunkelheit, eine wahrhaft erschreckende Leere, die keiner von ihnen durchbrechen konnte.
Gregori blieb in der Tür stehen. »Triff Vorkehrungen zu deinem Schutz, wenn du schläfst, Jacques. Wir werden gejagt.« Auch er schimmerte, löste sich auf und schwebte in die Nacht hinaus.
Wird er ihr etwas tun, Gregori ? Trotz seiner beruhigenden Worte zu Raven hatte Mikhail das Gefühl, kein Risiko eingehen zu dürfen, was Shea anging. Wenn jemand den geistigen Schaden Jacques' beurteilen konnte, dann der Heiler.
Er denkt daran, sie für ihr unbedachtes Verhalten zu bestrafen, erwiderte Gregori ruhig, aber ich kann fühlen, wie sich sein Geist ihr zuwendet und ihre überwältigenden Empfindungen empfängt. Er versucht, wütend auf sie zu sein, doch es wird nicht anhalten.
Das Blut des uralten Stammes hatte Jacques seine volle Stärke zurückgegeben. Er spürte seine ungeheure Macht und kostete sie von Neuem aus. Barfuß lief er durch das Zimmer zur Tür und atmete tief ein. Trotz des Unwetters wusste er genau, wo Shea war. Er war ständig in ihrem 296
Bewusstsein und nie ganz von ihr getrennt. Er konnte den Aufruhr in ihrem Inneren fühlen, ihre Panik und Verzweiflung, ihren Wunsch, den Bergen und den Karpatianern zu entfliehen. Ihm zu entfliehen.
Du wirst zu mir zurückkommen, Shea. Es war ein eindeutiger Befehl, und er hoffte, dass sie gehorchen würde und er sie nicht zwingen musste.
Shea sprang über einen verrotteten Baumstamm und blieb unter dem Laubdach eines gewaltigen Baumes abrupt stehen. Der Befehl war unmissverständlich und durch jegliches Fehlen von Emotionen besonders eindrucksvoll. Zorn regte sich in ihr. Dieses Gefühl war ihr neu. Sie konnte sich nicht erinnern, je zuvor zornig gewesen zu sein. Shea achtete gewöhnlich darauf, gar nichts zu empfinden. Ihr war es lieber, die Dinge zu analysieren.
Versuch bitte, mich zu verstehen, Jacques. Ich will mit alldem nichts zu tun haben.
Ich werde nicht über diese Entfernung mit dir streiten.
Komm jetzt zu mir zurück.
Shea klammerte sich Hilfe suchend an einen Ast. Dass Jacques so unbewegt blieb, erschreckte sie mehr, als es sein Zorn vermocht hätte. Sie spürte Macht in ihm, absolute Gewissheit. Ich komme nicht zurück. Ich kann nicht. Leb einfach dein Leben, Jacques. Jetzt hast du es wieder.
Wenn er tatsächlich jahrhundertelang keine Gefühle gehabt hatte, dann würde es ihn jetzt ebenso viel Mühe kosten wie sie selbst, die Beherrschung zu behalten. All das war zu viel für sie. Sie wollte die ruhige, friedliche Welt wiederhaben, die sie verstand, wo ihr Verstand regierte und Emotionen beiseite geschoben werden konnten.
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Du kannst diesen Kampf unmöglich gewinnen, Shea. Es war eine Warnung, nicht mehr und nicht weniger. Sein Tonfall war immer noch völlig ausdruckslos.
Warum muss es überhaupt einen Kampf geben ? Du musst meine Entscheidung akzeptieren. Ich habe das Recht
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