Karparthianer 02 Dunkle Macht des Herzens
seinem Willen unterwerfen konnte.
Jacques war geduldig. Er hatte gelernt, Geduld zu haben.
Er wusste, dass er ihr immer näher kam. Jetzt hatte er Zeit. Es gab keinen Grund zur Eile. Er konnte es sich leisten, seine Kräfte wachsen zu lassen. Aus seinem dunklen Grab heraus stellte er ihr nach, und jedes Mal, wenn er an ihr Bewusstsein rührte, wurde die Verbindung zwischen ihnen stärker. Im Grunde wusste er gar nicht, was er mit ihr machen würde, wenn er sie erst einmal in den Händen hatte. Er würde sie nicht gleich töten; er hatte sich so lange in ihrem Bewusstsein bewegt, dass es manchmal so schien, als wären sie eins.
Aber leiden würde sie mit Sicherheit. Wieder versetzte er sich in Schlaf, um das verbliebene Blut in seinen Adern zu schonen.
Sie war an ihrem Computer eingeschlafen, und ihr Kopf ruhte auf einem Stoß Papier. Selbst im Schlaf arbeitete ihr Verstand. Jacques hatte viel über sie erfahren. Sie hatte ein fotografisches Gedächtnis. Er lernte Dinge von ihr, die er entweder vergessen oder vielleicht nie gewusst hatte. Oft verbrachte er einige Zeit mit Lernen, bevor er sie wieder seinen Quälereien aussetzte. Sie war für ihn eine Quelle des Wissens, Wissens über die Außenwelt.
Sie war immer allein. Sogar die flüchtigen Einblicke in lange zurückliegende Erinnerungen zeigten ein kleines Kind, das von anderen isoliert war. Er hatte das Gefühl, sie gut zu kennen, obwohl er eigentlich nichts Persönliches über sie wusste. Ihr Geist war erfüllt von Formeln und Daten, Instrumenten und Chemikalien. Sie 40
dachte weder über ihr Aussehen noch über die anderen Dinge nach, die seiner Erfahrung nach für eine Frau wichtig waren. Sie dachte nur an ihre Arbeit. Alles andere wurde rasch beiseite geschoben.
Jacques setzte seine ganze Willenskraft ein und konzentrierte sie auf die Frau. Du wirst jetzt zu mir kommen. Nichts kann dich aufhalten. Wach auf und komm zu mir. Ich ruhe mich aus und warte. Er legte alles, was ihm an Stärke geblieben war, in den Befehl. In den vergangenen zwei Monaten hatte er sie mehrmals gezwungen, in seine Richtung zu gehen, sich durch den dunklen Wald in die Nähe seines Kerkers zu bewegen. Sie hatte jedes Mal getan, was er verlangte, aber ihr Drang, ihre Arbeit zu vollenden, war so stark gewesen, dass sie irgendwann kehrtgemacht hatte. Diesmal war er überzeugt, genug Kraft zu besitzen, um sie seinem Willen zu unterwerfen.
Sie spürte seine Gegenwart in ihrem Inneren, registrierte es, wenn er an ihr Bewusstsein rührte, aber sie hatte keine Ahnung, dass sie miteinander verbunden waren.
Sie hielt ihn für einen Traum -oder vielmehr für einen Albtraum.
Jacques lächelte bei dem Gedanken. Aber in dem Aufblitzen seiner weißen Zähne verriet sich keine Erheiterung, nur ein Aufflackern von Wildheit, wie die dunkle Vorahnung von einem Raubtier, das bereit ist, seine Beute zu reißen.
Shea schrak auf und blinzelte, um das Zimmer wieder klar sehen zu können. Überall lag ihre Arbeit herum; der Computer lief, und die Dokumente, die sie studiert hatte, 41
waren an der Stelle, wo ihr Kopf gelegen hatte, ein bisschen zerknittert. Schon wieder der Traum. Würde er nie aufhören, sie nie in Ruhe lassen?
Mittlerweile war ihr der Mann aus dem Traum vertraut, sein dichtes, tiefschwarzes Haar und der leichte Zug von Grausamkeit, der um seinen sinnlichen Mund lag. In den ersten Jahren hatte sie in dem Albtraum seine Augen nicht sehen können, als wären sie von irgendetwas bedeckt, aber seit zwei Jahren starrte er sie finster und drohend an.
Shea strich ihr Haar zurück und spürte die winzigen Schweißperlen, die ihr auf die Stirn getreten waren.
Einen Moment lang befiel sie das seltsame Gefühl von Orientierungslosigkeit, das sie immer nach dem Traum erfüllte, als hielte etwas einen Herzschlag lang ihr Bewusstsein fest, um es dann langsam und widerwillig freizugeben.
Es wurde Jagd auf sie gemacht, das wusste Shea. Der Traum mochte nicht real sein, aber der Umstand, dass man sie verfolgte, war es. Diese Tatsache durfte sie nie aus den Augen verlieren, nie vergessen. Sie würde niemals wieder in Sicherheit sein, es sei denn, sie fand Heilung für sich selbst und die Hand voll anderer, die an derselben seltenen Krankheit litten. Sie wurde gejagt, als wäre sie ein Tier ohne Gefühle oder Verstand. Für ihre Jäger zählte es nicht, dass sie sechs Sprachen fließend beherrschte, dass sie eine erfahrene Chirurgin war und unzählige Leben gerettet hatte.
Die Worte auf dem
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