Karparthianer 02 Dunkle Macht des Herzens
Bedenken im Stich gelassen hatte. Ein Mann, der eine Krankheit weitergegeben hatte, die so bösartig war, dass seine Tochter sie vor dem Rest der Welt verbergen musste.
Und Maggie hatte es gewusst! Und trotzdem hatte sie sich nicht die Mühe gemacht, Nachforschungen anzustellen oder Rand auch nur zu befragen, um herauszufinden, was ihrer Tochter bevorstand.
Shea blieb stehen, hob eine Hand voll Erde auf und ließ sie durch ihre Finger rieseln. War Noelle, die Frau, die ihre Mutter als seine Ehefrau bezeichnet hatte, ebenso von Rand besessen gewesen wie Maggie? Es klang ganz danach, als wäre das der Fall gewesen. Shea hatte nicht 45
die Absicht, auch nur das kleinste Risiko einzugehen, das Versagen ihrer Mutter nachzuleben. Niemals würde sie einen Mann so ausschließlich lieben, dass sie deswegen ihr Kind vernachlässigte und sich irgendwann das Leben nahm.
Der Tod ihrer Mutter war eine sinnlose Tragödie gewesen und hatte Shea einem kalten, grausamen Leben ohne Liebe oder Rückhalt ausgeliefert. Maggie hatte gewusst, dass ihre Tochter Blut brauchte; es stand in ihrem Tagebuch, Wort für Wort. Shea ballte die Hand so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Maggie hatte gewusst, dass Rands Speichel heilend wirkte. Aber sie hatte es ihrer Tochter überlassen, allein dahinterzukom-men.
Shea hatte sich als Kind unzählige Male selbst geheilt, während ihre Mutter stumpf und leblos aus dem Fenster gestarrt und nicht ein einziges Mal die Schmerzensschreie des Kleinkinds gehört hatte, als Shea laufen gelernt hatte, und zwar ganz allein, so wie sie alles allein hatte lernen müssen. Sie hatte entdeckt, dass sie die Fähigkeit besaß, kleine Schnitte und Schürfwunden mit ihrer Zunge zu heilen. Es dauerte eine Weile, bis ihr klar wurde, dass sie in dieser Beziehung einzigartig war.
Maggie war wie ein seelenloser Roboter und kümmerte sich nur um das äußerste Minimum an Sheas körperlichen Bedürfnissen und überhaupt nicht um ihr seelisches Wohl.
An dem Tag, als Shea achtzehn wurde, beging Maggie Selbstmord.
Ein leiser Schmerzenslaut entrang sich Shea. Die Erkenntnis, dass sie Blut zum Überleben brauchte, war schlimm genug gewesen, aber mit dem Wissen 46
aufzuwachsen, dass ihre Mutter sie nicht hatte lieben können, war verheerend gewesen.
Vor sieben Jahren war Europa von einer Art Wahnsinn befallen worden. Anfänglich war es lachhaft erschienen.
Seit undenklichen Zeiten tuschelten ungebildete und abergläubische Menschen darüber, dass es hier in dieser Gegend, aus der ihr Vater stammte, Vampire gab.
Jetzt schien es eher wahrscheinlich zu sein, dass eine Blutkrankheit, die möglicherweise hier in den Karpaten ihren Ursprung genommen hatte, die Grundlage für die Schauergeschichten über Vampire gebildet hatte. Wenn die Krankheit nur diesem Gebiet zuzuordnen war, war es dann nicht möglich, dass diejenigen, die jahrhundertelang verfolgt worden waren, an demselben Leiden erkrankt waren, an dem auch ihr Vater und sie selbst litten? Die Aussicht, andere zu untersuchen, die genauso waren wie sie selbst, hatte Shea mit freudiger Erregung erfüllt.
Aber die neuzeitliche Jagd und Ermordung von
»Vampiren« hatte Europa überschwemmt wie eine Seuche. Hauptsächlich Männer waren auf die rituelle Art des Vampirtötens, nämlich mit einem Pfahl durchs Herz, umgebracht worden. Es war abstoßend, widerwärtig und angsteinflößend. Anerkannte Wissenschaftler hatten begonnen, die Möglichkeit zu diskutieren, dass Vampire tatsächlich existierten. Komitees waren gebildet worden, um sie zu studieren — und zu eliminieren. Indizien aus älteren Quellen zusammen mit Blutproben eines weiblichen Kindes - wobei Shea sicher war, dass es sich um ihr Blut handelte -hatten weitere Fragen aufgeworfen. Shea war überzeugt, dass diejenigen, die in Europa töteten, versuchen würden, auch sie zu finden, 47
und sie hatte Angst bekommen. Und jetzt versuchte man tatsächlich, sie aufzuspüren! Sie hatte ihr Land verlassen und ihre Karriere aufgeben müssen, um auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen.
Wie konnte jemand in dieser aufgeklärten Zeit an einen derartigen Blödsinn wie Vampire glauben? Shea, die sicher war, dass die Menschen, die man getötet hatte, an derselben Krankheit litten wie sie, identifizierte sich mit ihnen. Sie war Ärztin, Forscherin, und doch war sie außerstande gewesen, auch nur einem der Opfer zu helfen; die Furcht vor Entdeckung ihres, wie sie glaubte, abstoßenden kleinen Geheimnisses hatte
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