Karparthianer 02 Dunkle Macht des Herzens
umgeht, drängte Raven.
Sie wiederholte es noch einmal laut. »Schau ihn dir doch an.«Jacques wünschte sich, die Fremden würden wieder gehen. So viele Männer in Sheas Nähe zu wissen, machte ihn gereizt und unruhig. Er traute keinem von ihnen, mit Ausnahme der blauäugigen Frau vielleicht. Jacques konnte es kaum ertragen, denjenigen anzuschauen, der 238
behauptete, sein Bruder zu sein. Er hatte Shea angegriffen und beinahe getötet. Seltsamerweise tat es weh, den Mann anzusehen. Jacques' Kopf schien jedes Mal, wenn ihre Augen einander begegneten, zerspringen zu wollen. Erinnerungen. Fragmente. Kleine Teile von nichts.
Genug, raunte er Shea zu. Als ihre Zunge über seine Wunde strich, um sie zu verschließen, war es ein Gefühl reinster Versuchung.
Shea kam langsam wieder zu sich, im Mund einen süßlichen, metallischen Geschmack. Der furchtbare nagende Hunger war verschwunden, aber ihr Körper stand in Flammen, war weich und nachgiebig und voller Verlangen. Als ihr plötzlich die anderen im Raum auffielen, schmiegte sie sich schutzsuchend an Jacques.
Wenn sie alle erst einmal weg waren, konnte sie schlafen und später über alles nachdenken, die Fakten durchgehen, über die sie verfügte, und herausfinden, wer und was diese Leute waren.
Auf einmal bekam sie furchtbare Angst. Ihr Mund war wie ausgetrocknet, und ihr Herz hämmerte laut. Shea konnte fühlen, wie sich Jacques' Hände fester um sie schlossen. Sie war wie in Trance gewesen, und in diese Trance hatte Jacques sie versetzt. Ihre grünen Augen öffneten sich langsam und wanderten ängstlich forschend über sein Gesicht. Warum war sie nicht außer sich vor Glück darüber, dass sie seine Leute, seine Familie gefunden hatten? Warum war sie nicht froh über die Ankunft eines Heilers?
Irgendetwas stimmte hier nicht. Ihre einzige Hoffnung bestand darin, sich dieser Situation zu entziehen und Jacques seiner Familie zu überlassen. Jetzt waren genug 239
Leute da, die sich auch ohne ihre Hilfe um Jacques kümmern konnten. Der
Heiler verfügte offensichtlich über weit mehr Kenntnisse als sie. Sie zitterte und schämte sich dafür, dass alle Anwesenden sehen konnten, wie es sie von Kopf bis Fuß schüttelte. Sie verlor nie die Fassung. Sie brauchte gewiss auch jetzt nur etwas Distanz, um sie wiederzuerlangen.
Nein! Jacques' Stimme war nun viel stärker und beängstigender. Du kannst mich nicht verlassen!
Shea wusste, dass er viel mehr Macht besaß, als sie sich vorstellen konnte. Und er manipulierte sie - schon die ganze Zeit. Zum ersten Mal ließ sie zu, dass die Fakten in ihrem Kopf ein klares Bild ergaben. Ein Vampir. Jacques war ein Vampir. All die Leute hier waren Vampire. Ihre Hand fuhr an ihre Kehle. Und sie war jetzt vermutlich eine von ihnen.
»Lass mich los!« Jetzt setzte Shea sich ernstlich zur Wehr. Es schockierte sie, wie stark Jacques durch die Gabe von Gregoris Blut geworden war.
Jacques knurrte, als schwarzer Zorn in ihm aufstieg und dazu die Angst kam, sie zu verlieren, Angst, Shea könnte ohne ihn nicht überleben, Angst, wieder ganz allein in völliger Dunkelheit zu sein. Er hielt sie mühelos fest, aber das Geräusch ihres rasenden Herzschlags war so beunruhigend, dass es ihn ein wenig ernüchterte.
In das Chaos seiner aufgewühlten Emotionen drang die Stimme des Heilers. »Sie weiß nichts über die Art unseres Volkes, Jacques. Du musst sie sanft führen, so wie es dein Bruder bei Raven gemacht hat.«
Shea wehrte sich gegen die bezwingende Stimme, die einen Zauber um sie zu legen schien. »Ich will jetzt 240
gehen! Sie können mich nicht hier festhalten.« Tu das bitte nicht, Jacques. Zwing mich nicht hierzubleiben, wenn wir beide wissen, dass es für mich nicht möglich ist. Du kennst mich, du kennst mich in-und auswendig.
Hör auf, Shea, flehte Jacques sie an. Er wusste, dass ihn nur ein dünner Faden mit seinem Intellekt und seinem Verstand verband. Nichts hat sich geändert.
Alles hat sich geändert. Diese Leute sind deine Familie. Sie versuchte, tief durchzuatmen, um ruhiger zu werden. Ich war deine Ärztin, Jacques, mehr nicht. Ich gehöre nicht hierher. Ich weiß nicht, wie ich so leben soll.
Du bist meine Gefährtin. Die Worte standen klar und deutlich in ihrem Kopf. Du bist müde, mein Liebes, müde und verängstigt. Dazu hast du jedes Recht. Ich weiß, dass ich dir Angst gemacht habe, aber du gehörst zu mir. Er gab sich Mühe, seine Stimme sanft und beherrscht klingen zu lassen, doch es fiel ihm nicht leicht,
Weitere Kostenlose Bücher