Karpatenfürst - Landers, K: Karpatenfürst
Noch einen Tag sollte sie sich in Sicherheit wähnen, bevor er sie mit sich nahm. Wenn sie sich in seiner Gewalt befände, würde er sie zu seiner Geliebten machen. Noch einmal sog er tief ihren Duft ein, bevor er sich auf den Weg zurück zur Törzburg, dem Stammsitz der cel Bâtrâns, begab.
Über das lustvolle Erlebnis am Weiher hatte er jedoch vergessen, nach Petre zu suchen. Da die Sonne bereits am Horizont aufging, würde der Vampir vermutlich bereits in seinen unterirdischen Gemächern ruhen. Valerij nahm sich vor, ihn bei Einbruch der Dunkelheit zur Rede zu stellen.
Einen Wimpernschlag später schwang er sich auf sein Pferd und galoppierte die Burgstraße hinauf.
Als wenn er nicht genug Probleme hätte! Jetzt saßen ihm womöglich wegen Drazice auch die Schattendämonen im Nacken. Schuld daran trug Graf Boskovic, der aus Machtgier vor langer Zeit einen Pakt mit den Dämonen geschlossen hatte. Dieser Bastard! Durch dieses Bündnis waren Satans Kinder in diese Welt wie ein Schwarm schwarzer Krähen eingedrungen.
Valerijs Gedanken bewegten sich in der Vergangenheit. Im Laufe der Zeit hatten sich nicht nur die Landschaft und die Menschen verändert, sondern auch er selbst. Auch er besaß Kerben, die niemand sehen konnte, aber die tiefer in seine Seele gedrungen waren, als er zugeben wollte und ihn für den Rest seines Daseins prägten.
Er schüttelte den Kopf, als könnte er die Erinnerungen daraus vertreiben.
Das Hufgetrappel und das Schnauben des Pferdes hallten über den Burghof. Eine Handvoll Sterblicher, die in seinen Diensten standen, eilten ihm entgegen. Valerij sprang vom Pferd und warf dem Stallburschen die Zügel zu, bevor er die ausladende Steintreppe zum Eingangsportal hinaufeilte.
Mit weit ausholenden Schritten durchquerte er die Eingangshalle, an deren Wänden die Gemälde seiner Vorfahren hingen, denen er nur selten einen Blick schenkte. Wieder drehten sich seine Gedanken um die schwarzhaarige Schönheit. Liliths Prophezeiung schien sich wieder zu bewahrheiten. Was würde weiter geschehen? Nie hatte er so darauf gebrannt, in die Zukunft blicken zu können.
„Aurika!“, brüllte er voller Ungeduld durch die Halle und erhielt zu seinem Verdruss keine Antwort. Dabei musste sie ihn gehört haben, denn sie verließ nie die Burg, und ihr Gehör glich dem einer Fledermaus. Er duldete es nicht, wenn sein Rufen ignoriert wurde.
„Wo steckst du, Hexe?“ Valerij knurrte wütend. Dann würde er sie eben in ihren Räumen aufsuchen, ob es ihr passte oder nicht. Sollte sie doch zetern. Es war ihm gleichgültig, ob er sie vielleicht in ihrer Trance störte oder bei irgendwelcher Zubereitung von Hexenelixieren. Er brauchte ihre Dienste. Jetzt. Schnaubend stampfte Valerij durch die Halle. Irgendwo klappte eine Tür und schlurfende Schritte näherten sich.
Aurika kam auf ihn zu. Ihr Anblick erschütterte ihn jedes Mal aufs Neue. Was war nur aus der einstigen Schönheit geworden? Das weit fallende, schlichte Gewand konnte ihren Buckel nicht verbergen. Wirr hing das schlohweiße Haar um ihr faltiges Gesicht. Valerij wusste nicht, wie alt sie war, keiner wusste es. Jedenfalls hatte sie schon im Mittelalter seinem Vetter Mircea die Zukunft vorausgesagt. Damals hatte jeder ihre Schönheit gepriesen, bis sie Opfer eines Schattendämons geworden war, der die Hexe in eine mürrische, hässliche Alte verwandelte. Als hätte er sie wie eine Frucht ausgelutscht und die Hülle in der Sonne trocknen lassen. Aus Mitleid hatte Valerij sie bei sich aufgenommen. Der äußerliche Wandel hatte sie verbittert. Die einst begehrte Frau ertrug es nicht, wegen ihrer Hässlichkeit zurückgewiesen zu werden. Manchmal duldete Valerij ihre Launen nicht, wenn sie keifend durch die Räume tobte. Dann verbannte er sie ins Kellergewölbe.
Sie hätte selbst ihre Seele an Satan verkauft, wenn sie dadurch ihre Schönheit zurückgewinnen könnte. Valerij schenkte ihr einen besonderen Spiegel, der ihr Antlitz aus der Vergangenheit zeigte. Er hoffte, sie damit zu besänftigen. Stundenlang schaute sie selbstverliebt hinein. Valerij bemerkte, dass sie ihn auch heute wieder bei sich trug. Sie umklammerte den Stiel, als könnte sie damit die Vergangenheit festhalten. Der trostlose Ausdruck in ihrem Blick berührte ihn. Oft hatte er sich gefragt, wie es ihm an ihrer Stelle ergangen wäre. Er hätte diese Hässlichkeit nicht ertragen können und seine Mutter darum gebeten, ihn zu vernichten. Aber Aurika arrangierte sich mit ihrem Leben.
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