Karpatenfürst - Landers, K: Karpatenfürst
Vielleicht hoffte sie auf ein Wunder, dass alles wieder so wie früher wäre? Sie sprach nicht darüber und er fragte sie nicht danach.
„Aurika, hast du mich nicht gehört?“, fragte er ein wenig milder und baute sich vor der zierlichen Gestalt auf.
Sie verbeugte sich demütig vor ihm, bevor sie zu ihm aufsah. Ihre grünen Augen verengten sich und verliehen ihr durch die senkrecht stehenden Pupillen das Aussehen einer Schlange. Er erkannte das Feuer der Leidenschaft, das noch immer in ihr brannte. Sie begehrte ihn als Liebhaber, aber ihre Hässlichkeit stieß ihn ab. Vielleicht hätte er sie damals zur Geliebten genommen, als sie noch schön gewesen war.
Wie mochte es sein, nicht mehr begehrt zu sein? Von allen verachtet und ausgestoßen zu werden? Diese Gedanken stimmten ihn nachdenklich. Aber Mitgefühl durfte man als Herrscher über die Karpaten nicht zeigen, es machte ihn zu angreifbar.
„Ich bitte Euch um Verzeihung, mein Fürst. Mein gebrechlicher Körper folgt nur schwer Eurem Befehl.“
„Du musst für mich das Orakel befragen. Sofort.“
Erstaunt hob sie ihre Augenbrauen, wagte aber nicht, nach dem Grund zu fragen.
„So soll es sein. Folgt mir.“
Ihre sanfte, aber feste Stimme konnte ihn nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Neugier in ihr brodelte. Es war das unruhige Flackern in ihrem Blick, das sie verriet, als sie ihn flüchtig betrachtete.
Valerij folgte ihr durch eine schwere Holztür mit Eisenbeschlag, hinter der sich eine Treppe nach unten ins Burggewölbe befand. Dort lebte Aurika, die wie verwandelte Vampire die Sonne mied und die Dunkelheit bevorzugte.
Feuchte Kühle schlug ihnen entgegen, begleitet von einem modrigen Geruch. Er war schon lange nicht mehr hier unten gewesen, weil er lieber das unendliche Leben in vollen Zügen genoss, als sich in diesem dunklen Loch zu vergraben.
Aurika ächzte, als sie die Treppe hinabstieg, während ihre vor Schwäche zitternden Hände das Seil umklammerten, das als Halt diente. Als sie auf einer Stufe strauchelte, fing er sie mit dem Arm ab.
Am Fuße der Treppe öffnete sie eine weitere Tür, die knarrend aufschwang und den Blick auf einen quadratischen Raum freigab, dessen Steinwände von Fackeln rußgeschwärzt waren. Inmitten des Raumes flackerte ein Feuer in einem mit Holz gefüllten und zweckentfremdeten Pestkorb. Valerij lief jedes Mal ein Schauder den Rücken hinunter, wenn er den Korb sah. Er hatte Pestkranke im Laufe seines Daseins gesehen. Sie sahen nicht nur abstoßend aus, auch ihr Blut roch ekelerregend. Aurika umgab sich gern mit Dingen, die an tragische Ereignisse erinnerten. Vielleicht weil ihr Leben selbst dramatisch verlaufen war. Kerzen in Eisenhaltern auf dem Tisch spendeten Licht und warfen tanzende Schatten an die Wände. Aurika sprach mit diesen Schatten, als wären sie gute Freunde. Von den Schritten aufgescheucht, huschten Ratten quiekend über den Boden und verschwanden hinter einem Gitter in der Wand. Die Hexe fütterte sie regelmäßig und sprach mit ihnen wie zu Kindern.
Aurika ging zielstrebig auf den wuchtigen Tisch in der Mitte des Raumes zu und hob ein schwarzes Tuch hoch, unter dem ein verspiegeltes Kistchen zum Vorschein kam.
Valerij stand neben ihr und trommelte mit den Fingern auf der Tischkante.
„Nun öffne schon“, forderte er. Es dauerte ihm alles viel zu lange.
Aurika zog lächelnd einen Schlüssel aus ihrem Kragen, der an einer Kette hing, und fingerte ihn ins Schloss. Sie drehte ihn herum, aber er klemmte. Bei einem zweiten Versuch brach er ab. Als Valerij fluchte, sah Aurika zu ihm auf. Ihre Augen glänzten. Die Hexe hielt ihn bewusst hin. Vielleicht hatte sie sogar den Schlüssel bewusst abgebrochen. Valerij fauchte sie wütend an. Er war es leid, Aurika stetig an ihren Gehorsam zu erinnern.
„Oh, wie ungeschickt von mir. Verzeih mir.“ Obwohl sie eine reumütige Miene zog, lag Triumph in ihrem Blick. Valerij war viel zu ungeduldig, um sie erneut zurechtzuweisen.
„Rede nicht, öffne sie endlich.“ Sollte sie sich doch ihrer Zauberkräfte bedienen, um es zu öffnen, wenn es auf diese Weise nicht klappte.
Aurika hob eine Hand und ließ sie über der Kiste schweben, während sie etwas Unverständliches murmelte. Mit einem Klacken fiel das Schloss nach einer Weile auf den Tisch.
Valerij wollte das Kistchen hastig an sich reißen, als die Hexe ihm zuvorkam. Immer wieder erstaunte ihn, wie schnell sie sein konnte, wenn sie wollte. Nachdem sie einen Zauberspruch gemurmelt hatte, hob sie
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