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Karpfen, Glees und Gift im Bauch

Karpfen, Glees und Gift im Bauch

Titel: Karpfen, Glees und Gift im Bauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Rosenzweig
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links liegen ließen und nur den attraktiven Schülern und Schülerinnen ihre Aufmerksamkeit widmeten. Er hasste auch Elvira Süß, die beste Freundin seiner Mutter, die ihn im Alter von sechzehn Jahren verführte. Die pickelige Elvira, vorne flach wie ein Brett und auf der linken Backe einen Leberfleck, aus dem drei lange, schwarze Haare herauswuchsen, war fast genauso hässlich wie er. Als er mit ihr den Geschlechtsakt vollzogen hatte, und das geschah nach genau zwanzig Sekunden, erlitt er neuerlichen Spott: »War das alles?«, musste er sich anhören. »Klein, aber fein ist ja noch okay, aber dann sollte dein Piepmatz«, dabei zeigte sie auf seinen erschlafften Penis, »emsig und ausdauernd wie ein Nähmaschinchen sein. Also Junge, das war wohl nichts!«
    Eine Enttäuschung nach der anderen brach über den Heranwachsenden herein. Er war zum Einzelgänger geworden, zog sich noch weiter in sich zurück und lebte nur noch in seiner Gedankenwelt, in welcher Aggressivität, anormale Verhaltensmuster und nicht ausgelebte Gewalt immer stärker Einzug fanden. Seinen Vater, der ihn immer nur als »Schlappschwanz« bezeichnete, hasste er am meisten. Er wurde sein erstes Opfer.
    Es war Samstagmorgen. Seine Mutter war mit dem Fahrrad zum Bäcker gefahren, um frische Brötchen zu holen. Sein Vater hatte eine eigenartige Angewohnheit. Stets las er während seiner morgendlichen Toilettensitzungen den Sportteil der Tageszeitung und rauchte dazu eine seiner geliebten Peter Stuyvesant. Die zu Ende gerauchte Kippe schmiss er in die Toilettenschüssel. Darauf beruhte der Plan des Jungen. Er hatte sich im örtlichen Drogeriemarkt eine Flasche Spiritus gekauft. Das Geld dazu hatte er seinem Vater aus der Geldbörse gestohlen. Kaum war seine Mutter außer Haus, schlich sich der Junge mit der Spiritusflasche ins Bad. Fünf Minuten später holte sein Vater die Tageszeitung aus dem Briefkasten, nahm sich eine Peter Stuyvesant aus der Zigarettenschachtel und verschwand nebst Feuerzeug im Bad. Sein Sohn, dieser Schlappschwanz, stand mal wieder unnütz herum und schaute blöd. Nichtsnutz! Er versperrte die Tür von innen und klappte den Klodeckel hoch. Wie das heute nach Putzmittel roch! Er zog sich die Schlafanzughose herunter und nahm entspannt Platz. Sein Blick fiel auf die Schlagzeile: »Kann der VfB den Club aus Nürnberg schlagen?« Er gab dem inneren Drang erleichtert nach. Düfte vermischten sich. Dann griff er nach dem Feuerzeug, welches er auf der Fensterablage deponiert hatte. Herrlich, dieser erste Lungenzug beim morgendlichen Geschäft. Er zog den warmen Rauch bis in die hintersten Spitzen seiner Lungenflügel, während ein maschinengewehrartiges Stakkato seinen Lauf nahm.
    Sein Sohn, draußen vor der Tür, lauschte den eindeutigen Geräuschen. Er sah auf seine Uhr. Noch circa vier Minuten! Er machte sich ausgehbereit. Es konnte nicht mehr lange dauern. Bevor er aus dem Haus flüchtete, wollte er wenigstens noch Ohrenzeuge werden.
    Zwei weitere Minuten schlichen dahin. Er verharrte still und leise vor der Toilettentür. Der Sekundenzeiger zuckelte dahin. Plötzlich vernahm er hinter dem Türblatt ein wildes Fauchen, gefolgt von einem markerschütternden Schrei aus Schmerz, Wut und Überraschung. Dann folgte eine Serie wilder Flüche, sowie Geräusche, die Schadensbegrenzungsmaßnahmen zuzurechnen waren. Leise schloss er die Haustüre hinter sich und schwang sich auf sein Fahrrad. Er hatte keine Lust, Erklärungen abgeben zu müssen. Er ging davon aus, dass sein Vater nicht zuhause sein würde, wenn er spätabends zurückkehren würde. Er sollte mit dieser Annahme recht behalten.
    Als seine Mutter, wenig später, mit einer großen Tüte frisch duftender Brötchen, das Haus betrat, roch es nach verbranntem Fleisch, Spiritus und Zigarettenqualm. Ihr Mann, der alte Bock, stand »unten ohne« am Telefon und sprach mit der Polizei. Er faselte etwas von Brandanschlag, Attentat und Hinterfotzigkeit. Sein mächtiger Hintern glänzte feurig rot. Dagegen nahm sich der eines Pavians wie ein blasser Farbklecks aus. Rings um seine stämmigen Oberschenkel hingen verkohlte Hautfetzen herab. Als er sich umdrehte, sah sie, wie sein Schniedel, braun geröstet wie eine gegrillte Bratwurst, leblos unter seiner gewaltigen Wampe hing.
    Draußen, in der Hofeinfahrt, kämpften zwei Martinshörner gegeneinander an. Ein »Sanka« und ein Polizeifahrzeug besprenkelten sich gegenseitig mit ihrem Blaulicht. Der Notarzt klingelte an der Tür. Sie rief nach

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