Karpfen, Glees und Gift im Bauch
ihrem Sohn, erhielt aber keine Antwort.
Action
Heftiger Wind peitschte durch die Straßen des Dorfes. Die Straßenlaternen schwankten hin und her, quietschten in ihren Halterungen und verstreuten ihr orangefarbenes, diffuses Licht. In der Ferne zuckte der erste Blitz. Dicke Regenwolken segelten von Westen heran. Kein Mensch war unterwegs. Nicht einmal einer der vielen Hundebesitzer. Bei diesem Wetter blieb man zuhause. Nur eine kleine, dunkel gekleidete Gestalt huschte in die öffentliche Telefonzelle, Ecke Hauptstraße / Kaibachweg. Ihren Rollator hatte sie vor der Telefonzelle abgestellt und mit der Bremse gesichert. Die Person wirkte äußerst nervös. Ständig sah sie auf ihre Armbanduhr. Endlich nahm sie den Hörer ab und schmiss ein paar Münzen in den dafür vorgesehenen Schlitz. Dann formte sie aus mehreren Papiertaschentüchern eine weiche Kugel, hielt diese vor die Sprechmuschel des Telefonhörers, wählte die Nummer, welche sie auswendig gelernt hatte, und lauschte dem Freizeichen.
Vor wenigen Minuten hatte sich eine zweite, schwarz vermummte Gestalt in den Garten des Anwesens Auf der Höhe 95 geschlichen und drückte sich nun in den Schatten der hohen Eiche. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Noch nie war sie in der Dunkelheit wie ein Dieb in ein fremdes Grundstück eingedrungen. Sie lauschte. Über ihr heulte der Wind in der mächtigen Krone der Eiche und zerrte an deren dürren Ästen. Die Gestalt verharrte wie zu einer Salzsäure erstarrt und hörte in das Heulen des Windes hinein. Kein anderes Geräusch war zu hören als das Tosen des aufkommenden Sturms. Ein kleiner Igel lief auf seinen kurzen Stummelbeinen hurtig über die Rasenfläche, um unter den weit ausladenden Zweigen eines Schmetterlingflieders zu verschwinden. Die Träger der schwarzen Umhängetasche lasteten schwer auf der rechten Schulter der schmächtigen Gestalt. Obwohl sie die Last verspürte, vergewisserte sie sich, dass der rote Backstein, den sie unterwegs von einer Neubaustelle entwendet hatte, noch da war. Er war noch da und wartete auf seinen Einsatz. Das würde Krach machen. Sie war dem Wind so dankbar, dass er ausgerechnet heute so kräftig blies und ein so schauriges Konzert von sich gab. Dann sah sie nochmals auf die Leuchtziffern ihrer Uhr. Es war an der Zeit, den Plan minutengenau in die Tat umzusetzen.
Vorsichtig trat sie aus dem Schatten der Eiche heraus und näherte sich der dunklen Terrassentür. Dann griff sie mit beiden behandschuhten Händen in ihre Umhängetasche, welche sie vorher auf der Terrasse abgesetzt hatte. Sie packte den Backstein mit beiden Händen und schleuderte ihn schwungvoll und mit aller Kraft, die in ihr steckte, gegen die dunkle Glastür. In ihren Ohren dröhnte das Splittern des Glases wie die Explosion eines ausbrechenden Vulkans. Die herabregnenden Glassplitter kamen ihr wie ein funkensprühender Ascheregen vor. Sie sah durch das dunkle Loch, welches der Backstein geschlagen hatte. Der lag, in zwei Teile zerbrochen, auf dem hellen Fliesenboden des Wohnzimmers. Sie sah sich um. Die hell erleuchteten Fenster der Nachbarn blieben stumm. Nur der Wind heulte nach wie vor durch die mit dicken Wolken geschwängerte Finsternis. Selbst der abnehmende Mond hatte sich rar gemacht und war nicht mehr zu sehen. Sie hob ihre Tasche auf und trippelte, wie der kleine Igel, um das Haus herum. Bevor sie auf die Straße trat, sah sie sich nochmals in alle Himmelsrichtungen um und war eine Minute später in der Erlenstraßeverschwunden.
In der öffentlichen Telefonzelle Ecke Hauptstraße / Kaibachweg lauschte die andere vermummte Person dem Freizeichen. Dann wurde abgenommen. »Hier Bolizeihaubdmeisder Max Gruber von der Landbolizei Höchstadt an der Aisch. Griß Godd! Was lichd an?«
Eine tiefe Stimme drang an sein Ohr und forderte ihn auf: »Schiggns soford a Schdreifn nach Röttenbach. Zum Anwesn Auf der Höhe 95. Dord werd grood eibrochn. Machns schnell, die Däder sen nu in der Näh!« Dann wurde aufgelegt. Polizeihauptmeister Max Gruber vernahm nur noch das Freizeichen. Sekunden später war auch der Rollator neben der Telefonzelle Ecke Hauptstraße/Kaibachweg in Röttenbach verschwunden.
Der Wind zerrte immer noch an den Straßenlaternen und die dunklen Wolken, die er aus Westen herantrieb, wurden immer dichter.
Der Telefonanruf, der bei den Polizeibehörden in Höchstadt an der Aisch einging, löste einen ganz normalen, routinemäßigen Prozess aus.
»Hier Zendrale, hier Zendrale, Bolizeihaubdmeisder
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