Karpfen, Glees und Gift im Bauch
Schund wermer dozu aa ned brauchn. Bis schbäder, Waggerla!«
Toni Wellein war gerade dabei seiner Freundin ihre Aufgabe zu erklären. Begeistert war sie nicht gerade. Was sollte sie bei Hubsis Frau? Sie verstand das grässliche, fränkische Englisch dieser Veronika nicht. Sie würde den Korb nur vor die Haustüre stellen, die Türglocke drücken und gleich wieder verschwinden. Ansonsten müsste sie sich wieder rechtfertigen, ob und warum die Chinesen beim Essen rülpsen, schmatzen und furzen. Dazu hatte sie heute wirklich keine Lust.
Chamaeleonidae Waiblingensis
Ganz langsam und zaghaft – überaus vorsichtig – hatte sich das Stummelschwanzchamäleon an sein Opfer heran geschlichen. Seit Minuten hatte sich das Reptil nicht mehr bewegt. Nur die Augen spähten ruckartig in alle Himmelsrichtungen. Starr und nahezu atemlos lauerte es auf dem von der Sonne Madagaskars ausgetrocknetem Laub, welches den kargen Boden bedeckte. Die kleine, grüne Heuschrecke, die sich gerade mal zwanzig Zentimeter entfernt auf einem dürren Ast niedergelassen hatte, ahnte nichts von der tödlichen Bedrohung. Die Augen des Chamäleons ruhten nun völlig auf dem Leckerbissen und prüften Größe und Form des Beutetieres, sowie die Entfernung. Ganz langsam öffnete sich das Maul des Chamäleons, und ein aufmerksamer Beobachter hätte sicherlich bemerkt, wie die Zunge des Reptils ein Stückchen nach vorne geschoben wurde. Urplötzlich, wie aus der Pistole geschossen, schleuderte das Reptil seine Zunge aus dem Maul, erfasste die Heuschrecke und verschlang sie.
Wäre es möglich gewesen, die Szene in Zeitlupe zu verfolgen, wäre dem aufmerksamen Beobachter offensichtlich geworden, wie ein Muskel die verdickte Zunge des Chamäleons kontraktierte, wodurch sich an der Spitze ein kegelförmiger Hohlraum bildete. Dieser bewirkte die Entstehung eines Soges, der die Beute regelrecht an die Zunge heranzog. Ein abgesondertes Sekret vergrößerte zusätzlich die Haftungsfläche, was die Erfassung der Heuschrecke erleichterte. Der ganze Vorgang hatte gerademal eine zehntel Sekunde gedauert. Zwischenzeitlich war die Zunge wieder in den Kehlsack zurückgezogen und das bedauerliche Beutetier längst im Ganzen verschluckt worden. Eine kleine Windbö erfasste einen kleinen, trockenen Zweig, der am Boden lag und schleuderte ihn gegen den gedrungenen Rumpf des Tieres. Bar jeder aktiven Selbstverteidigung verfiel das Chamäleon in eine Schreckstarre und stellte sich tot. Dieses Verhalten begründete die Mythologie der Einheimischen: Tod und Chamäleon gehörten zusammen. Das Tier besaß Unheil bringende Kräfte.
Weit weg von Madagaskar, in Waiblingen, lag ein anderes Stummelschwanzchamäleon der Gattung Chamaeleonidae Waiblingensis in seinem Bett, dachte über sein bisheriges Leben nach und versuchte einzuschlafen. Letzteres war gar nicht so einfach, denn sein Weibchen, auf den Namen Doris hörend, lag neben ihm und schnarchte, dass die Vorhänge zitterten. Entgegen der tierischen Gattung, bei der die Männchen deutlich größer sind, als die Weibchen, verhielt es sich bei Chamaeleonidae Waiblingensis genau umgekehrt. Wog Gustav, das männliche Stummelschwanzchamäleon gerade mal fünfundsechzig Kilogramm, brachte Doris beachtliche fünfundneunzig Kilogramm auf die Waage. Noch vor wenigen Minuten hatten Doris und Gustav Geschlechtsverkehr. Sein Freudenspender schmerzte und fühlte sich an wie gemantschter Kartoffelbrei. Der eigentliche Akt dauerte zwischen fünfundzwanzig und dreißig Sekunden, und nun lag Gustav, gequält vom Lärm einer fiktiven, mittelgroßen Kreissäge in seinem Bett und dachte über sein Leben nach. Was hatte er in seinen sechsunddreißig Jahren erreicht, außer in einem Akt der Selbstverzweiflung eine um zehn Jahre jüngere Frau geheiratet zu haben, die zwar fett wie ein Schwein war, dafür aber einen interessanten Schwiegervater in die Ehe eingebracht hatte? Gut, er gehörte auch nicht zu der Gattung der attraktiven Männer. Das wusste er. Doch Doris Haeberle-Eberle und Hannelore Redlingshöfer, waren so weit voneinander entfernt, wie die Erde vom Mond. Hängebauchschwein und Chamäleon, was würde das für eine Mischung geben? Er mochte gar nicht daran denken. Wozu hatte er eigentlich – nach einer eher unglücklichen Jugendzeit – an der Uni Heidelberg studiert, seinen Abschluss als Diplom Kaufmann gemacht und noch ein Jahr Auslandspraktikum an der National Taiwan University in Taipeh drangehängt?
Ihm fiel wieder der Streich
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