Karpfen, Glees und Gift im Bauch
sie im Bad fertig war und ihr Nachthemd angezogen hatte, klopfte sie ihr Kopfkissen zurecht und stieg in ihr Bett. Sie löschte das Licht und stierte in die Dunkelheit. Erneut sammelte sie in Gedanken alle Auswärtigen, die sie kannte, und ließ sie, wie die Schafe, einzeln nacheinander über einen imaginären Zaun springen. Lin Sang war am Gatter hängen geblieben. Sie war zu tief gesprungen. Die beiden Tschechen befanden sich schon im Pferch, auch wenn sie als Täter kaum in Frage kamen. Selbst Dirk Loos, der Sauerländer Rentner befand sich darin. Genauso Roland Sprottenklee. Dann kam noch Herr Loosbüttel dazu. Tatjana Rübensiehl und ihr Hans-Dieter hüpften gerade gemeinsam. Das schwarze Schaf befand sich immer noch nicht darunter. Sie dachte an ihren Fund am Breitweiher. Dann zuckten Bilder von Johann Geldmachers Beerdigung durch ihren Kopf. Der Schafkopftisch anlässlich des Leichenschmauses tauchte vor ihrem geistigen Auge auf. Gifdbrieh! PING! Der Knoten in ihrem Kopf platzte. Alles lag ganz klar vor ihr. Tic Tac! Das schwarze Waiblinger Schaf sprang soeben in den Pferch und sah sich verstört um. Die Reifenspuren am Breitweiher gehörten zu einem schwarzen Mercedes. Die beiden kleinen Pillen, die sie unter dem Löwenzahnblatt gefunden hatte, waren keine Betäubungsmittel, sondern Tic Tac. »Iech alde Dolln, dass iech do ned scho ehra draufkumm bin!”, grummelte sie in der Dunkelheit vor sich hin. »Do schau her, der Käszibfl aus Waiblingen! Wer häd dees dengd? Bringd der den Geldmacher um! Abber was had der midn Hubsi zu do ghabd?« Das wollte der Kunni noch nicht einleuchten. Aber darüber würde sie sich morgen Gedanken machen. Gleich morgen früh würde sie sich mit Retta zusammensetzen. »Und dann mach mer Nägl mid Kebf!«, sprach sie selbstbewusst in das dunkle Schlafzimmer. Was das Motiv des Täters anbelangte, nun da tappte sie noch völlig im Dunklen, aber die Indizienkette war zu eindeutig. Sie war lückenlos. Da gab es keine Zweifel mehr. Es musste so gewesen sein, wie sich der Tathergang in ihrem Kopf abspielte. Lediglich das Warum? fehlte noch. Aber da würde sie auch noch dahinterkommen. Sie gähnte zum wiederholten Mal. Fünf Minuten später war sie eingeschlafen und schnarchte leise vor sich hin.
Stammtischbrüder
Zwei Stunden saßen sie schon am Stammtisch in der Wirtsstube der Brauerei Sauer: Dirk Loos, der rüstige, zugezogene Rentner aus dem Sauerland und Untermieter von Margarethe Bauer. Dann waren da noch Roland Sprottenklee, der einundsiebzigjährige Fischkopf aus der Nähe von Hamburg, der von seinem Sohn Matthias, Atomphysiker bei Areva in Erlangen, vor vier Jahren nach Röttenbach geholt wurde, sowie Hanni Müller und Wastl Schaub, die beiden eingeborenen Rentner aus der Amselstraße und dem Gartenweg. Hanni Müller war sein ganzes Berufsleben Mitarbeiter beim gemeindlichen Bauhof Röttenbach gewesen, und Wastl Schaub verkaufte ehemals Herren-Oberbekleidung beim Bekleidungshaus Murk in Wachenroth. Vor eineinhalb Jahren hatten sie sich zufälliger auf dem Dorffest kennengelernt. Dem einen war der Wein, dem anderen das süffige Sauer-Bier zu Kopf gestiegen, und so waren sie viele Stunden an den Biertischen gesessen, welche der Backofenverein aufgestellt hatte, und waren ins Gespräch gekommen. Es wurde ein lustiger und unterhaltsamer Tag. Sie erzählten sich Erlebnisse aus ihrer Jugendzeit und später so manchen lustigen Witz, hatten viel zu lachen und noch mehr Gründe, immer wieder anzustoßen. Roland Sprottenklee war es, der den Vorschlag machte, sich mal wieder zu treffen. So kam es, dass sie sich zwischenzeitlich jeden zweiten Samstag im Monat beim Sauer trafen, tratschten, ab und an eine Runde Schafkopf spielten und gemeinsame Ausflüge in die nähere Umgebung unternahmen.
Heute Morgen erst hatten sie sich alle vier am Tennisplatz getroffen. Es ging auf das Ende der Saison zu. Der Wetterdienst hatte die letzten schönen Tage des Jahres angekündigt. Bald sollte es dauerhaft schlechter werden. Nach dem verkorksten Sommer durfte man sich über den herrlichen Herbst sowieso in keinster Weise beschweren. Dirk Loos und Roland Sprottenklee standen auf dem Platz und spielten ein schweißtreibendes Einzel. Die beiden fränkischen Rentner saßen auf der kleinen Terrasse und sahen ihren beiden preußischen Stammtischbrüdern zu. Jeder der beiden hatte sich ein Paar Weißwürste mit frischen Salzstangen bestellt. Die Bedienung stellte zwei frisch eingeschenkte Weißbiere auf den
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