Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela
Vorort lag von uns aus gesehen hinter Willingen. Nur unter Anfeuerungsrufen und mit gutem Zureden schaffte ich das letzte Stück. Wir belohnten uns an diesem Abend mit einem ausgezeichneten Essen in einem sehr schönen Restaurant. Unser Fußweg dorthin war für Gu ein einziger Angriff auf seinen Lachmuskel, was ich gar nicht witzig fand. Neben Gu lief eine breitbeinige, an John Wayne erinnernde, sich schwer vorwärts bewegende, wandergeplagte Frau. Ich fragte mich, wie ich es nur jemals nach Santiago schaffen wollte. Mein Ehrgeiz aber war geweckt.
»Der morgige Tag soll nur kommen«, dachte ich bei mir. Der zweite Tag begann nach ausgiebigem Schlaf und köstlichem Frühstück mit einem Geschenk. Unser Pensionswirt, der anscheinend schnell verstanden hatte, welcher Wanderkategorie er mich zuordnen musste, brachte uns mit dem Auto zu unserem Ausgangspunkt für diesen Tag. Ich hätte ihn umarmen können! Danach machte ich meine erste wichtige Wandererfahrung. Die ersten Schritte lassen einen noch alles spüren, mit jedem Schritt weiter vergeht der Schmerz. So erklommen wir den Langenberg, durchquerten das Naturschutzgebiet Neuer Hagen, sahen die fünfhundertjährige alte Linde in Küstelberg und kosteten aus der Quelle der Ruhr. Über die Heidenstraße gelangten wir schließlich nach Winterberg. Auf diesem letzten Abschnitt kamen wir an einem Bildstock vorbei, es war ein Bildstock zu Ehren des Apostels Jakobus des Älteren. Wir befanden uns auf einem Teilstück des Jakobsweges! Auch das hatten wir vorher nicht gelesen. Der Pilgerpfad, das war offensichtlich, rief uns und wartete auf uns! Unsere Vorfreude war mit unserer wunderbaren Osterwanderung nur noch größer geworden. Meine konditionellen Schwächen konnten mich davon auch nicht abhalten.
Bis zu unserer Abreise mussten weitere Reisevorbereitungen getroffen werden, hauptsächlich für mich, denn wie bereits angedeutet gehörte bis dahin eine Wanderausrüstung nicht in meinen Kleiderschrank. Es fehlte wirklich alles: Rucksack, Schlafsack, Isomatte, Trinkflasche, weitere Wanderbekleidung, Regenzeug und, und, und. Wanderschuhe zu kaufen, stellte sich als die größte Schwierigkeit heraus. Es dauerte fast einen Monat passende Exemplare für mich zu finden, meine Ferse war zu schmal und hatte in den normal geschnittenen Modellen keinen festen Halt. Also bekam ich extra schlanke Schuhe, natürlich aus Italien, sie waren sogar ganz schick. Meine alte Profession kam mal wieder zum Vorschein. Den Rucksack tauschte ich einmal um: Zunächst hatte ich mir zu einem 55-Liter-Exemplar raten lassen, doch beim Probepacken passte nicht alles hinein. Dabei hatte ich doch schon mehrmals aussortiert und mich für meine Verhältnisse drastisch beschränkt. Dazu muss man wissen, dass ich grundsätzlich auf Reisen für alle Eventualitäten zwei bis drei Outfits mehr einpackte. Gu meinte nur: »Du musst den Rucksack fünf Wochen tragen, es ist deine Entscheidung, ob du dir einen größeren zulegst.« Ich kaufte einen 65-Liter-Rucksack, in ihn konnte ich alles verstauen und ich war mir sehr sicher, die 15 Kilo meines geplanten Gepäcks tragen zu können. Davon, dass man als Rucksackgewicht mit zehn Prozent seines Körpergewichtes rechnen sollte, erfuhr ich erst während des Pilgerns. Auch den Ratschlag meines Vaters, auf keinen Fall mehr als zehn Kilo mitzunehmen, ignorierte ich. Es musste also unbedingt das größere Exemplar sein. Später auf der Reise sah ich, dass fast nur die Männer ähnlich große Modelle wie ich trugen.
Je näher die Abreise rückte, umso mehr freute ich mich. Ich fieberte innerlich dem Weg entgegen, auch wenn ich äußerlich verhältnismäßig ruhig war. Ich denke, es hatte aber auch damit zu tun, die Gewissheit zu haben, zunächst zu zweit zu reisen und mich nicht allein in das mir Unbekannte vorzuwagen. Außerdem war es sehr schön, die Reisevorkehrungen nicht allein, sondern zu zweit treffen zu können. Mit Gu zusammen zu planen, den Reiseführer und die Karten zu wälzen, sich den Weg auszumalen, Gedanken darüber auszutauschen, machte großen Spaß. Wir planten mit dem Auto zu unserer ersten Wanderstation zu fahren, das Auto dort zu parken, damit Gu später, nach den zwei Wochen, wieder damit zurückfahren konnte. Ich wollte dann später von Santiago aus nach Hause fliegen. Am 21. Mai, meinem 41. Geburtstag, sollte es losgehen. Wir wollten eine Nacht irgendwo in Frankreich verbringen, um dann am 22. Mai in St. Jean-Pied-de-Port anzukommen. Von dort sollte
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