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Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Titel: Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Dankbar
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bin, den Preis dafür zu zahlen.
    An diesem Tag war es relativ kühl, dann und wann kamen ein paar Regentropfen vom Himmel herunter. Es blieb diesig. Die Temperaturen waren deshalb sehr erträglich. Das Gelände war ziemlich flach und ich musste kaum auf Asphalt laufen. Ich fühlte mich die ersten drei Stunden großartig und genoss die malerische Umgebung. Dann ging es los, mit jedem Schritt wurde die Qual größer. Ich hatte statt der Sandalen wieder meine Wanderschuhe angezogen, sodass der Zeh erneut schmerzte. Am schlimmsten waren aber die Hüftprobleme. Wenn niemand in der Nähe war stöhnte ich zunächst laut auf, dann ließ ich sogar den einen oder anderen lauten Schrei über meine Lippen kommen. Damals bitterernst, heute in der Nachbetrachtung doch ein wenig amüsant. Ich lief weiter. Ich war offensichtlich bereit, diese Schmerzen zu ertragen, damit ich gemeinsam mit meinen neu gewonnenen Freunden in Santiago einziehen konnte. Mit ihnen unsere Ankunft zu feiern!
    In Lavacolla gab es keine Herberge, ich übernachtete in einem Hostal. Ich hatte nicht allein die Idee gehabt, am letzten Tag nur noch eine kurze Strecke bis Santiago zu gehen. Einige mir bekannte französische Pilger, Rien und zu meiner großen Freude auch Ute schliefen in diesem Haus. Sie waren somit am folgenden Tag ebenfalls in Santiago, wie schön!
    Nach einem Mittagessen und anschließendem ausgiebigen Nickerchen verspürte ich nichts mehr. Ich denke, dass die Schmerzen einfach auf die Dauerbelastung zurückzuführen waren, denen ich als bisherige Schreibtischtäterin und wenig Sport Treibende nicht gewachsen war. Kürzere Strecken auf mehrere Tage verteilt, wären besser gewesen. Doch jetzt war es so, wie es war, und ich konnte es gut annehmen. Es entspannte mich zudem sehr, mit Ute und Rien zusammen zu sein.
     
     

33. Pilgertag, 24. Juni 2006
    Lavacolla - Santiago de Compostela
     
    Zum letzten Mal packte ich morgens meinen Rucksack zusammen, um ihn für die letzte Tageswanderung zu schultern. Ein ganz seltsames Gefühl. Alles, was ich zum Leben in den vergangenen Wochen gebraucht hatte, war in ihm untergebracht. Bald würde er bei mir im Keller verstaut und für unbestimmte Zeit nicht mehr genutzt werden. Würde ich wieder wandern gehen oder blieb es eine einmalige Sache? So wenig bei sich zu haben, das machte frei und dieses Gefühl hatte ich sehr genossen.
    Im Morgengrauen, weit und breit war keine Menschenseele zu sehen, begab ich mich auf die letzten Kilometer. Mitten in Lavacolla stand ein wunderschönes Wegkreuz, das ich am Tag zuvor schon bewundert hatte. In ganz Galicien gibt es die cruceiros, steinerne Wegkreuze, die auf beiden Seiten jeweils eine Person zeigen. Meist sind Jesus und Mutter Maria abgebildet, wie auch an dieser Stelle. Ich sprach ein kurzes Gebet, in dem ich für meine bisherige Reise dankte, und lief dann los.
    In den eineinhalb Stunden, die ich bis zum Monte do Gozo benötigte, sah ich niemanden. Einzig zwei Autos passierten mich währenddessen. Meine Gedanken schweiften ab. Zum ersten Mal seit vielen Tagen dachte ich intensiv an meine Familie, vor allem an meine Eltern und Geschwister. Wie viel Zeit würde nach meiner Rückkehr vergehen, bis ich sie wiedersehen würde? Würden sie sich die Zeit nehmen, meinen Erlebnissen zuzuhören? Warum stellte ich mir ausgerechnet diese Fragen? Vielleicht, weil ich sie vermisste? Schließlich hatte ich keine eigene Familie, deshalb fühlte ich mich mit ihnen trotz meiner 41 Jahre immer noch sehr verwurzelt. Was sie denken, auch von mir, war mir wichtig. Und ich wollte von ihnen gesehen werden. Es gab viele gute und wichtige Begegnungen mit meiner Familie, vor allem zwischen meinen jüngeren Geschwistern und mir hatte sich sehr viel mehr emotionale Nähe als noch zu meiner Schulzeit entwickelt. Immer wieder signalisierten alle, dass ich jederzeit willkommen war. Dennoch habe ich in der Vergangenheit oft den Eindruck gehabt, dass meine Familie nur dann für mich da, wenn ich von mir aus deutlich machte, dass ich gerade Hilfe benötigte oder wichtige Themen zu besprechen hatte. In diesen Situationen standen sie Gewehr bei Fuß, wie man so schön sagt. Das ist grundsätzlich wunderbar, aber die Art von Gesprächen, die dann entstehen, wenn man sie so überhaupt nicht erwartet, die fehlten mir. Wahrscheinlich lag es daran, dass wir uns vor allem bei Familienfesten sahen oder jeder mit den eigenen Belangen schon genug zu tun hatte. Vielleicht hing es aber auch damit zusammen, dass

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