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Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Titel: Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Dankbar
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Tische, Stoffservietten, zweifach Messer und Gabel waren wir schon lange nicht mehr gewohnt. In unserer Wandermontur, noch ungeduscht und daher ein wenig streng riechend, unterschieden wir uns doch sehr von den überwiegend anwesenden Anzugträgern. Niemand sonst hatte uns begleiten wollen, die anderen wollten sich erst frisch machen. Bei uns hatte der Hunger gesiegt und Arzúa mit seinen über 6000 Einwohnern hatte mehrere gute Restaurants zu bieten.
    Herumschlendern auf dem Wochenmarkt, ein ausgiebiger Mittagsschlaf, am Abend ein Picknick im Freien mit Kathrin und Johannes, einem sehr netten Waldorfschullehrer, den Kathrin schon vorher ein einige Male getroffen hatte, trugen ebenso dazu bei, dass alle Strapazen des Morgens in den Hintergrund traten. Nichts schmerzte, nichts zwickte, ich war satt, zufrieden und glücklich. Voll Wohlbehagen lagen Kathrin und ich unter unserer Kuppel und hingen gemeinsam unseren Gedanken zum Camino nach. Zum einen schwelgten wir, wie schon in Ligonde, in Erinnerungen an die hinter uns liegende Zeit. Zum anderen lag Santiago zum Greifen nah vor uns. In wenigen Tagen würden wir wieder zu Hause sein. Was würde uns erwarten? Was würden wir mitnehmen? Wir wünschten uns beide, die Langsamkeit in unseren Alltag bringen zu können. Vor allem Kathrin hatte die Befürchtung, schnell wieder von ihm überrollt zu werden. Beide freuten wir uns auf zu Hause, obwohl wir auch traurig waren, dass unsere Reise bald endete. Irgendwann bekam ich keine Antwort mehr auf meine Frage, Kathrin war eingeschlafen. Nach einem letzten Blick in die Runde - Elvira, Martin, Sylvia, Peter, Adriano und Johannes, sie waren alle mit im Raum - machte ich ebenfalls meine Augen zu.
     
     

32. Pilgertag, Freitag, 23. Juni 2006
    Arzúa - Lavacolla
     
    Ich hatte den Plan gefasst, an diesem Tag bis Lavacolla zu laufen. Von dort waren es knapp elf Kilometer bis Santiago, die ich am nächsten Tag dann nur noch zu bewältigen hatte. Ich hatte den Wunsch, ohne Pilgermassen in Santiago anzukommen. Der romantische Gedanke, den Moment der Ankunft vor der Kathedrale möglichst nicht im Pulk genießen zu müssen, spukte in meinem Kopf herum. Die elf Kilometer konnte ich locker in zweieinhalb Stunden schaffen, gegen neun Uhr wollte ich dort sein. Die 31 Kilometer, die ich bis Lavacolla wandern musste, flößten mir nach meinen letzten Tagesverfassungen zwar einen gehörigen Respekt ein, schreckten mich aber in keiner Weise ab. Ich wollte unbedingt am Samstag in Santiago ankommen, wie die anderen auch. Ich wusste, dass Elvira, Martin, Sylvia, Peter, Kathrin und auch Hans-Jakob dann eintreffen würden. Letzterer hatte mir eine entsprechende SMS geschickt. Von Steffi wusste ich, dass sie am Freitag ankommen würde, ebenso wie Katrin mit dem roten Turban und Maciej. Vielleicht würden sie nach Finisterre erst einen Tag später aufbrechen. Wer weiß, wen ich noch alles wiedersehen würde. Hoffentlich die kleine Ute. Deswegen wollte ich die geplante Tagesstrecke unbedingt schaffen. Da war er erneut, mein Wille. Aber war es nicht auch etwas Gutes, wenn ich den Wunsch hatte, die Menschen, die mir unterwegs wichtig geworden waren, am Ende der Reise nochmals zu sehen, bevor sie in alle Himmelsrichtungen verschwanden? Ich konnte doch sowieso nicht mit allen dauerhaft in Kontakt bleiben. Aber es gab noch einen anderen Gedanken, den ich nicht so gern zulassen wollte. Hatte ich eventuell auch die Befürchtung etwas zu verpassen, wenn alle anderen früher ankamen als ich? Das traf zu, wenn ich ehrlich bin. Was verpasste ich denn? Hatte ich nicht auf dem Weg ein um das andere Mal auf ein Neues zu spüren bekommen, dass beim Loslassen des Einen, etwas anderes, durchaus Schönes oder Gutes auf mich wartete. Anscheinend war der Lernprozess immer noch nicht abgeschlossen. Heute, mit einigem Abstand, weiß ich, dass diese schmerzhaften Erfahrungen dazu beigetragen haben, mich selbst besser zu verstehen. Es bedeutete hingegen nicht, mir deutlich zu machen, dass ich bestimmte Eigenschaften ablegen muss. Das eigene Handeln jederzeit zu reflektieren, sich die eigenen Entscheidungen bewusst zu machen, mit den Konsequenzen daraus positiv umgehen zu können, das sind wichtige Erkenntnisse meiner Pilgerschaft. Mein Wille ist nichts Schlechtes. In vielen Situationen meines Lebens ist und war er sehr hilfreich. Heute registriere ich sehr viel schneller, wenn aus dem Willen ein pures Wollen geworden ist und ich mir dann klar darüber werden kann, ob ich bereit

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