Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela
Jakobus. Man sagt, dass erst dann die Pilgerreise unwiderruflich zu Ende ist. Der Tradition folgend ging ich in der Gruft am Sarkophag des Apostels entlang und verharrte dort zu einem kurzen Gebet. Oberhalb der Gruft umarmte und küsste ich die goldene Jakobusstatue. Als Pilgerin waren mir daraufhin alle meine bisherigen Sünden erlassen, so der Pilgerglaube.
Den Rest des Nachmittages verbrachten wir in geselliger Runde in einer netten Bar und feierten unsere Ankunft mit einer Flasche Vino tinto nach der anderen. Johannes, Hans-Jakob und ich hatten einen schönen Tisch draußen belegt, in der gleichen Altstadtgasse, in der das Pilgerbüro und mein Hotel lagen. Offensichtlich liefen alle Pilger irgendwann durch diese Gasse, sodass wir jeden, der für uns interessant war, zu sehen bekamen. Ich traf sogar Erni und Toni wieder, damit hatte ich überhaupt nicht mehr gerechnet. Gu’s und meine Weggefährten der ersten Nacht. An unserem Tisch war ein einziges Kommen und Gehen. Ständig blieb jemand stehen oder gesellte sich auf ein Gläschen zu uns. Ich genoss diese ungezwungene Atmosphäre. Wir erzählten uns Camino-Geschichten, lachten viel und wurden zwischendurch wieder ein wenig sentimental. Kathrin, die gegen drei Uhr auch endlich eingetrudelt war, Johannes, Steffi, Ute, Hans-Jakob und ich gingen auch am Abend gemeinsam zum Essen.
Für mich war der ganze Tag ein einziges großes Geschenk. Ich war mit den Menschen angekommen und zusammen gewesen, die mir auf meiner Pilgerreise wichtige Weggefährten geworden waren. Bei Steffi, Ute, Kathrin und Hans-Jakob war ich ganz sicher, dass wir uns wiedersehen und in Kontakt bleiben würden. Sie hatten sich mir geöffnet und ich mich ihnen. Es war keine Selbstverständlichkeit dieses gegenseitige Vertrauen zu verschenken.
25.-27. Juni 2006
Die letzten Tage in Santiago de Compostela
Ich hatte noch zweieinhalb Tage in Santiago vor mir. Mein Flieger nach Hause ging am frühen Nachmittag des 27. Juni über Palma nach Hause. Ich hatte mich entschieden, nicht mit dem Bus nach Finisterre zu fahren. Mein Wunsch war es immer gewesen, die knapp 90 Kilometer dorthin zu Fuß zu laufen. Die Landspitze liegt in spektakulärer Lage am Atlantik mit endlosem Blick zum Horizont, am »Ende der Welt« eben, wie die Menschen im Altertum glaubten. Dort sitzt man als Pilger und schaut zu, wie die Sonne im Meer versinkt. Ein Sinnbild, das für die Kehrtwende im Leben steht. Es ist außerdem ein festes Ritual, die eigene abgetragene und durchgescheuerte Wanderbekleidung am Strand zu verbrennen. Manche werfen auch ihre Pilgermuschel mit einem Wunsch versehen in das Meer. Mit dem Bus dort hinzugelangen, fühlte sich für mich nicht richtig an. Irgendwie hatte ich auch die Empfindung, dass ich ein anderes Mal, später irgendwann, die Gelegenheit haben würde, bis nach Finisterre zu laufen. Vielleicht würde Gu den Weg noch zu Ende pilgern wollen und wir beide würden dann gemeinsam Finisterre erreichen. Außerdem konnte ich durch meine Entscheidung Santiago besser kennenlernen und sicherlich noch den einen oder anderen Pilger treffen.
Die nächsten Tage verbrachte ich mit ausgiebigen Erkundungen der Stadt. Die Altstadt mit ihren kleinen Gassen, den verwinkelten Ecken und den wunderschönen Häusern bezauberte mich immer wieder aufs Neue. Es gab viele Arkaden, unter denen man bummeln konnte, das erinnerte mich sehr an Münster. Zahlreiche Kirchen und kleinere Kapellen lagen im historischen Kern der Stadt. Überall in Santiago konnte man Geschichte hautnah erfahren, trotzdem war alles voller Leben. Nicht nur die Pilger, sondern auch die Studenten der hiesigen Universität sorgten für ein heiteres und lebhaftes Bild in der Stadt. Die zahlreichen Restaurants, Bodegas und Straßencafés luden einen geradezu zum gemütlichen Verweilen oder zum Schlemmen ein. Natürlich machte ich zwischendurch die Andenkenläden, die überall in der Stadt zu finden waren, unsicher. Ich wollte meinen Eltern, Geschwistern, Neffen und meiner damals einzigen Nichte etwas schenken. Normalerweise bringe ich aus dem Urlaub nie etwas mit, doch jetzt war es etwas anderes. Ich wollte meiner Familie unbedingt ein wenig von der Magie des Weges mit nach Hause bringen. Es gab viele schöne, auch handwerklich wunderbar gearbeitete Kleinigkeiten. Susanne, die mir den »Floh« mit dem Jakobsweg ins Ohr gesetzt hatte, wollte ich ebenfalls beschenken. Außerdem hatte sie während meiner Abwesenheit Geburtstag gehabt. Für Gu
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