Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela
die vier Franzosen, freuten sich sichtlich mich zu treffen. Das war sehr motivierend für mich, ein schönes Gefühl. Auf meine Frage, wo Patricia sei, zuckte Michel nur mit den Schultern. Da stimmte etwas nicht. Ein Ehekrach?
Der Kaffee am frühen Morgen belebte mich, es ging mir erstaunlicherweise gut. Ich hatte, um meinen Zeh zu schonen, die Trekkingsandalen statt der Wanderschuhe angezogen. Damit hatte ich also keine Probleme, einzig meine Hüfte machte sich leicht bemerkbar. Die Schwellung an meinem Bein war wieder so gut wie weg und beeinträchtigte mich nicht.
Den ganzen Tag über liefen Sylvia und Peter in meiner Sichtweite. Normalerweise waren sie schneller unterwegs als ich. Ich hatte den Eindruck, dass sie absichtlich in meiner Nähe blieben, so als ob sie auf mich aufpassen wollten. Selbst die Pausen, die ich machte, führten nicht dazu, dass ich sie aus den Augen verlor. Im Gegenteil, in Melide pausierten wir sogar gemeinsam. Dort trafen wir Elvira und Martin wieder, vor lauter Wiedersehensfreude umarmte mich Elvira ganz fest, das hatte sie vorher noch nie getan. Es hatte etwas Mütterliches. Heimweh, ein wenig auch die Pein der letzten Tage kamen deshalb in mir auf, sodass mir wieder einmal Tränen in die Augen schossen. Sylvia bemerkte das und nahm mein Gesicht fest zwischen ihre beiden Hände. Ihr Blick war liebevoll und sehr kraftvoll, so als ob sie mir ganz viel Energie schicken wollte. Es berührte mich, wie oft ich Zuwendung von anderen Menschen erfuhr. Häufig dann, wenn ich es nicht erwartete, aber in dem Moment sehr gut gebrauchen konnte. Sylvia schenkte mir an diesem Tag viele solcher Momente, ohne sie und Peter hätte ich den Weg nach Arzúa nicht geschafft. Ihre Nähe, entweder waren sie ein Stück hinter mir oder ein Stück vor mir, gab mir Sicherheit, denn zum ersten Mal hatte ich Angst unterwegs zusammenzubrechen. Die Schmerzen waren wieder da, aber nicht so stark wie am Vortag. Trotzdem quälte ich mich, es war sehr heiß und die Wegstrecke führte ständig auf-
und abwärts, was dazu beitrug, dass mein Kreislauf verrückt spielte. Obwohl ich mir vorgenommen hatte, zu stoppen, wenn es nicht mehr ging, kam der Impuls dazu nie auf. Lag es an den beiden Schweizern? An der schönen landschaftlichen Strecke? Es gab viel zu sehen. Idyllische Eichen- und Eukalyptusfelder wechselten sich ab mit Wiesen, die von Kühen und Ziegen beweidet wurden. Dazwischen lagen wunderschöne Dörfer und kleine Weiler. Dort standen auch die für Galicien charakteristischen Hórreos - lange, steinerne, auf Stelzen stehende Kornspeicher. Oft überquerten wir Furten und Bäche über sogenannte Pasadoiros - in eine Reihe gelegte große Steinplatten. Lag es auch an Adriano, einem Italiener um die 60 Jahre alt, der über eine längere Zeit neben mir herging? Wir unterhielten uns in einem lustigen Kauderwelsch aus Englisch und Italienisch. Wie alle Italiener, egal wie alt sie sind, machte er Komplimente und flirtete auf harmlose Weise mit mir. Kurze Intermezzi wie das mit der kleinen Maus unterbrachen hin und wieder unsere Schritte. Mitten auf dem Weg verspeiste eine winzige Spitzmaus genüsslich einen Schmetterling und ließ sich auch von uns vier, nach und nach hatten wir sie alle umringt, nicht stören. Sie hatte unglaubliches Glück, dass Sylvia sie rechtzeitig gesehen hatte und niemand von uns auf sie getreten war. Damit ihr auch nach uns nichts passierte, scheuchte Adriano sie samt ihrer Beute auf sanfte Art zum Wegrand. Eine schöne kleine Rettungsaktion.
Ungefähr zwei Kilometer vor Arzúa traf dann das ein, was ich befürchtet hatte, mir wurde schwarz vor Augen. Schnell lehnte ich mich an eine Straßenabgrenzung. Sylvia und Peter, die sich unmittelbar in meiner Nähe befanden, kamen mir sofort zu Hilfe. Ich vermutete eine Blick von meinem Bett in den Schlafsaal Unterzuckerung und bat Sylvia deshalb, mir einen Müsliriegel aus meiner Deckeltasche zu kramen. Ich hatte nicht mehr die Kraft den Rucksack abzusetzen. Nachdem ich ihn gegessen hatte, ging es mir sofort besser.
Keine Stunde später war alles wieder vergessen. Ich hatte in der alten, aber renovierten Herberge einen tollen Schlafplatz ergattert. Wie immer lag ich im oberen Teil des Stockbettes, direkt neben mir lag Kathrin. Es wirkte, als ob wir unter der Kuppel einer Kapelle schlafen würden. Trotz des Altbaus war es sehr hell und luftig. Wenig später speisten wir beide in einem Restaurant in einer für Pilger feudalen Umgebung. Weiß eingedeckte
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