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Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Titel: Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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stabilisierte sich der Preis innerhalb weniger Wochen
bei etwa zweitausend Euro für einen Abzug im Format 40 x 60. Jetzt war es also
so weit: Er kannte seinen Marktwert .
    Im Pariser Becken hielt der
Frühling Einzug, und Jed brachte es nach und nach, ohne es wirklich geplant zu
haben, zu komfortablem Wohlstand. Im April stellten sie überrascht fest, dass
sein monatliches Einkommen Olgas Einkünfte überstieg. Im Mai jenes Jahres gab
es ungewöhnlich viele verlängerte Wochenenden: Der 1. Mai fiel auf einen
Donnerstag, der 8. natürlich auch – anschließend kam wie gewöhnlich der
Himmelfahrtstag und schließlich das lange Pfingstwochenende. Das neue
Hotelverzeichnis von French Touch war soeben erschienen. Die Ausarbeitung war unter
Olgas Aufsicht erfolgt, sie hatte die von den Hoteliers verfassten Texte
redigiert und vor allem die Fotos ausgesucht; manchmal hatte sie sogar neue
Fotos anfertigen lassen, wenn ihr die vorgeschlagenen nicht verlockend genug
erschienen.
    Der Jardin du Luxembourg wurde
allmählich in Dunkelheit getaucht, sie hatten sich auf den Balkon gesetzt, das
Wetter war mild. Das letzte Kindergeschrei verstummte in der Ferne, bald würden
die Torgitter für die Nacht geschlossen werden. Olga kannte von Frankreich
eigentlich nur Paris, sagte sich Jed, während er im Hotelführer French Touch blätterte, und
er selbst ehrlich gesagt auch nicht viel mehr. In diesem Buch wirkte Frankreich
wie ein zauberhaftes Land, ein Mosaik aus herrlichen Landschaften voller
Schlösser und Herrenhäuser von erstaunlicher Vielfalt, in dem es sich jedoch
auch sonst gut leben ließ.
    »Hast du Lust, übers Wochenende aufs
Land zu fahren?«, fragte er und legte das Buch zur Seite. »In eines der Hotels,
die in deinem Führer beschrieben sind.«
    »Ja, das ist eine gute Idee.« Sie
dachte ein paar Sekunden nach. »Aber dann inkognito. Ohne zu sagen, dass ich
bei Michelin arbeite.«
    Selbst unter diesen Bedingungen, sagte
sich Jed, konnten sie davon ausgehen, dass sie von den Hoteliers mit besonderer
Aufmerksamkeit empfangen wurden. Ein junges, reiches Paar aus der Stadt,
kinderlos, hübsch anzuschauen und noch in der ersten Phase ihrer Liebe – und
aufgrund dessen stets bereit, beim geringsten Anlass in Entzücken zu geraten,
und zwar in der Hoffnung, sich einen Vorrat an schönen
Erinnerungen zu schaffen, der ihnen helfen
würde, die schwierigen Jahre zu überstehen, und ihnen vielleicht sogar erlauben
würde, eine Partnerschaftskrise zu überwinden –: Die beiden stellten für jeden Hotelier
oder Gastronom den Archetypen der idealen Gäste dar.
    »Wohin möchtest du als Erstes
fahren?«
    Als Jed ein wenig nachdachte, stellte
er fest, dass die Antwort auf diese Frage gar nicht so einfach war. Seines
Wissens waren viele Regionen äußerst interessant. Vielleicht stimmte es ja,
dass Frankreich ein wunderbares Land war – zumindest vom Standpunkt eines
Touristen.
    »Lass uns mit dem Zentralmassiv
anfangen«, entschied er schließlich. »Für dich ist das perfekt. Es gibt
vielleicht noch schönere Gegenden, aber das Zentralmassiv hat etwas typisch
Französisches, finde ich. Auf jeden Fall ist das Frankreich wie im Bilderbuch.«
    Nun blätterte Olga in dem Führer; sie
zeigte ihm ein Hotel. Jed runzelte die Stirn. »Die Farbe der Fensterläden ist
schlecht gewählt … Zu grauem Stein hätte ich Braun, Rot oder meinetwegen Grün
genommen, aber bestimmt kein Blau.« Er vertiefte sich in die Beschreibung, und
seine Verwunderung nahm zu. »Was ist das denn für ein Kauderwelsch? ›Im Herzen
des Cantal mit provenzalischem Einschlag, wo sich Tradition auf Kontemplation
und Freiheit auf Respekt reimt …‹ Freiheit und Respekt, das reimt sich doch
überhaupt nicht!«
    Olga nahm ihm das Buch aus der Hand
und vertiefte sich in die Lektüre. »Ach so, jetzt verstehe ich! ›Bei Martine
und Omar können Sie authentische Gerichte und Weine kosten‹, – sie hat einen
Nordafrikaner geheiratet, daher das mit dem ›Respekt‹.«
    »Das ist vielleicht gar nicht so
schlecht, vor allem, wenn der Typ Marokkaner ist. Die marokkanische Küche ist
verdammt gut. Möglicherweise gibt es dort sogar Fusion Food, etwas Frankomarokkanisches,
Pastilla mit Foie gras zum Beispiel.«
    »Kann sein«, sagte Olga nicht recht
überzeugt. »Aber ich als Touristin möchte etwas typisch Französisches. Diese
frankomarokkanischen oder frankovietnamesischen Gerichte sind vielleicht etwas
für ein Schickimicki-Restaurant am Canal Saint-Martin in Paris,

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