Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire
schenkte sich einen Kaffee ein. » We are a team «, fügte
Forestier ziemlich unnötigerweise hinzu.
»Der Verkauf unserer Karten ist im
letzten Monat um 17 Prozent gestiegen«, fuhr er fort. »Wir könnten die Preise
leicht anheben, andere würden das tun, aber nicht wir.«
Er ließ Jed die Zeit, die edle
Gesinnung zu ermessen, die dieser kommerziellen Entscheidung zugrunde lag, ehe
er hinzufügte: »Unerwarteter ist die Tatsache, dass es nun sogar Käufer für
alte Michelin-Karten gibt; wir haben die Angebote im Internet beobachtet. Wenn
ich daran denke, dass wir uns bis vor wenigen Wochen noch damit abgefunden
hatten, unsere veralteten Karten einstampfen zu lassen …«, fügte er düster
hinzu. »Wir haben einen Schatz vergeudet, von dessen Wert niemand in unserem
Haus etwas ahnte … bis wir Ihre herrlichen Fotos gesehen haben.« Er schien in
eine finstere Meditation über dieses auf so dumme Weise verschleuderte Geld
versunken zu sein, vielleicht auch allgemeiner über die Wertvernichtung, aber
dann fasste er sich wieder. »Was Ihre …« – er suchte nach dem passenden Wort –
»… was Ihre Werke angeht, müssen Sie jetzt den entscheidenden Schlag führen!« Er richtete
sich plötzlich auf dem Sofa auf, Jed hatte den flüchtigen Eindruck, er wolle
auf den niedrigen Tisch springen und sich mit den Fäusten auf die Brust
trommeln, um Tarzan nachzuahmen; er kniff die Augen zusammen, um diese Vision
zu vertreiben.
»Ich habe ein langes Gespräch mit
Mademoiselle Sheremoyova geführt, mit der Sie, glaube ich …« (Wieder suchte er
nach Worten – das ist der Nachteil von Absolventen der École Polytechnique: Sie
kommen den Arbeitgeber bei der Einstellung zwar etwas billiger als Absolventen
der École Nationale d’Administration, aber sie brauchen eben mehr Zeit, um die
passenden Worte zu finden; schließlich merkte er, dass er vom Thema
abschweifte.) »Kurz gesagt, wir waren uns darüber einig, dass eine direkte
Vermarktung über unser eigenes Vertriebsnetz unvorstellbar ist. Es darf
keinesfalls der Anschein erweckt werden, dass wir Ihre künstlerische
Unabhängigkeit beeinträchtigen. Soweit ich weiß«, fuhr er unsicher fort, »wird
der Handel mit Kunstwerken im Allgemeinen durch die Vermittlung von Galerien betrieben …«
»Ich habe keinen Galeristen.«
»Das hatte ich zu verstehen geglaubt.
Daher habe ich an folgende Konfiguration gedacht: Wir könnten die Konzeption einer
Website finanzieren, auf der Sie Ihre Arbeiten vorstellen und direkt verkaufen
können. Selbstverständlich liefe die Website auf Ihren Namen, Michelin würde
mit keinem Wort erwähnt. Ich glaube, es ist besser, wenn Sie selbst die
Durchführung der Abzüge überwachen. Die Logistik und den Versand hingegen
könnten wir übernehmen.«
»Ich bin damit einverstanden.«
»Perfekt, perfekt. Diesmal verfolgen
wir, glaube ich, eine echte Win-win-Strategie!«, sagte er begeistert. »Ich habe
alles in einem Vertragsentwurf zusammengestellt, den Sie sich natürlich in
aller Ruhe ansehen können.«
Jed betrat einen langen, sehr
hellen Flur. In der Ferne war durch eine große Fensterwand die Grande Arche de
la Défense zu sehen, der Himmel war von herrlich winterlichem Blau, das fast
künstlich wirkte; ein Phthalocyanin-Blau, dachte Jed flüchtig. Er ging langsam
und zögernd, als bewege er sich durch Watte; er wusste, dass soeben eine neue
Wendung in seinem Leben begonnen hatte. Die Tür zu Olgas Büro war offen, sie
lächelte ihm zu.
»Gut. Es war genau so, wie du gesagt
hast«, fasste er die Sache zusammen.
VII
J ED HATTE EIN REIN LITERARISCHES und künstlerisches Studium absolviert und nie
Gelegenheit gehabt, über das kapitalistische Rätsel schlechthin nachzudenken:nämlich das der Preisbildung . Er hatte sich für FineArt Canvas von Hahnemühle
entschieden, ein Papier, das eine ausgezeichnete Farbsättigung und gute
Altersbeständigkeit bot. Aber das Kalibrieren der Farben stellte sich bei
diesem Papier als ziemlich schwierig heraus und war sehr unbeständig, und der
Epson-Driver war noch nicht ausgereift, daher beschloss er, sich auf zwanzig
Vergrößerungen pro Foto zu beschränken. Ein Abzug kostete ihn ungefähr dreißig
Euro; er beschloss, sie für zweihundert Euro auf der Website anzubieten.
Als er das erste Foto online anbot,
eine Vergrößerung aus der Gegend um Hazebrouck, war die Serie in weniger als
drei Stunden ausverkauft. Der Preis war ganz offensichtlich nicht angemessen.
Nach ein paar Versuchen
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