Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire
«, beendete der Autor von Ein französischer Roman das Gespräch auf unerwartete Weise.
Jed traf mit fünf Minuten
Verspätung ein und entdeckte den Schriftsteller sofort an einem Tisch im
hinteren Teil des Raumes. Die Tische um ihn herum waren unbesetzt und bildeten
so etwas wie einen Sicherheitskordon von zwei Metern. Provinzler, die das Café
betraten, und sogar ein paar Touristen stießen einander mit dem Ellbogen an und
zeigten entzückt mit dem Finger auf ihn. Manchmal überwand ein Vertrauter die
Hürde und drückte dem Schriftsteller einen freundschaftlichen Kuss auf die
Wange, ehe er sich wieder entfernte. Für den Gastronomiebetrieb bedeutete das
zwar einen leichten Einnahmeverlust (auch der berühmte Philippe Sollers hatte
anscheinend auf Lebzeiten in der Closerie des Lilas einen stets für ihn reservierten Tisch, der an niemand
anderen vergeben wurde, egal ob der Schriftsteller zum Essen kam oder nicht),
aber diese geringfügige Geldeinbuße wurde in hohem Maße durch die
Touristenattraktion aufgewogen, die die regelmäßige, nachweisbare Anwesenheit
des Autors von Neununddreißigneunzig für das Café darstellte – eine Anwesenheit, die im
Übrigen der historischen Bestimmung dieses Betriebs durchaus entsprach. Durch
seinen mutigen Einsatz für die Legalisierung von Drogen und die Etablierung
eines offiziellen Status für Prostituierte beiderlei Geschlechts sowie seine
weniger umstrittenen Stellungnahmen zur Situation illegaler Einwanderer und zu
den Lebensbedingungen von Strafgefangenen war Frédéric Beigbeder zu einer Art
Sartre der Jahre um 2010 geworden, und zwar zur allgemeinen und ein wenig auch
zu seiner eigenen Überraschung, da man aufgrund seiner Vergangenheit eher hätte
erwarten dürfen, dass er ein zweiter Jean-Edern Hallier oder Gonzague
Saint-Bris werden würde. Dem anspruchsvollen Weggenossen der von Olivier
Besancenot geführten Nouveau Parti Anticapitaliste, einer Partei, die sich, wie
er kürzlich in einem Spiegel -Interview hervorgehoben hatte, vor der Gefahr
antisemitischer Entgleisungen zu hüten habe, war es gelungen, den halbbürgerlichen,
halbaristokratischen Ursprung seiner Familie und sogar die Mitgliedschaft
seines Bruders im Vorstand des französischen Arbeitgeberverbands vergessen zu
machen. Allerdings hatte auch Sartre ja nicht gerade aus einer Familie von
Hungerleidern gestammt.
Der Autor saß vor seinem Pastis
mit Mandelsirup und betrachtete melancholisch eine fast leere Pillendose aus
Metall, in der sich nur noch ein kleiner Rest Kokain befand. Als er Jed sah,
gab er ihm ein Zeichen, sich zu ihm zu setzen. Ein Ober kam rasch herbei, um
die Bestellung entgegenzunehmen.
»Äh, ich weiß nicht. Vielleicht eine
Maggibrühe … Gibt’s das noch?«
»Eine Maggibrühe …«, wiederholte
Beigbeder nachdenklich. »Sie sind wirklich ein komischer Typ.«
»Ich habe mich gewundert, dass Sie
sich noch an mich erinnern.«
»O ja …«, erwiderte der Schriftsteller
in seltsam traurigem Tonfall. »O ja, ich erinnere mich an Sie.«
Jed brachte sein Anliegen vor. Bei der
Erwähnung des Namens Houellebecq zuckte Beigbeder, wie Jed merkte, leicht
zusammen. »Ich bitte Sie nicht um seine Telefonnummer«, fügte er sehr schnell
hinzu, »ich möchte Sie nur darum bitten, ihn anzurufen und ihm von meinem
Wunsch zu erzählen.«
Der Ober brachte die Maggibrühe.
Beigbeder schwieg und dachte nach.
»Okay«, sagte er schließlich. »Okay,
ich ruf ihn an. Bei ihm weiß man zwar vorher nie, wie er reagiert, aber in
diesem Fall könnte es ihm selbst nutzen.«
»Glauben Sie, dass er zustimmt?«
»Da habe ich wirklich keine Ahnung.«
»Was könnte ihn denn Ihrer Meinung
nach dazu bewegen?«
»Also … Das wird Sie vielleicht
überraschen, denn in diesem Ruf steht er wirklich nicht: das Geld. An sich ist
ihm Geld scheißegal, er ist sehr genügsam; aber seine Scheidung hat ihn völlig
blank gemacht. Außerdem hat er in Spanien mehrere Wohnungen am Meer gekauft,
die aufgrund eines Gesetzes zum Schutz der Küstenregionen – ein Gesetz mit
rückwirkender Kraft – ohne Entschädigung enteignet werden, das ist total irre.
Ich glaube, dass er momentan tatsächlich in Geldschwierigkeiten steckt – das
ist völlig unglaublich, bei dem vielen Geld, das er verdient hat, nicht? Also,
wie gesagt, wenn Sie ihm eine stattliche Summe anbieten, dann stehen die
Chancen für Sie nicht schlecht.«
Er verstummte, kippte seinen
Cocktail in einem Zug hinunter, bestellte sich einen weiteren und
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