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Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Titel: Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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gedacht, ihn zu beglückwünschen, diese Firmen waren zu
arrogant, zu sehr in ihrem Professionalismus verwurzelt. Vielleicht handelte es
sich dabei aber auch nur um die typisch japanische Arroganz; diese gut
etablierten japanischen Firmen waren sowieso unerträglich. Die Deutschen
bemühten sich in ihren Gebrauchsanweisungen, die Fiktion einer auf Vernunft und
Treue beruhenden Wahl aufrechtzuerhalten, und es blieb ein echtes Vergnügen,
die Bedienungsvorschrift für einen Mercedes zu lesen, aber im Hinblick auf das
Preis-Leistungs-Verhältnis brach diese bezaubernde Fiktion, diese
Sozialdemokratie der Gremlins, kläglich zusammen. Blieben noch die Schweizer
mit ihrer Politik der extremen Preise, die den einen oder anderen reizen
konnte. Jed hatte zu manchen Anlässen mit dem Gedanken gespielt, ein Schweizer
Produkt zu kaufen, im Allgemeinen einen Fotoapparat von Alpa oder eine
Armbanduhr, aber der Preisunterschied im Verhältnis von 5:1 zu einem normalen
Produkt hatte ihn sehr schnell davon abgehalten. Für einen Verbraucher, der in
den Jahren um 2010 seinen Spaß haben wollte, war es am besten, sich einem koreanischen
Produkt zuzuwenden: bei Autos Kia und Hyundai und in der Elektronik LG und Samsung.
    Das Modell ZRT - AV 2 von Samsung verband,
der Einführung des Handbuchs zufolge, originelle technische Erfindungen – wie
zum Beispiel die automatische Erkennung eines Lächelns – mit der geradezu
legendären Benutzerfreundlichkeit, die den Ruf der Marke begründete.
    Nach dieser lyrischen Passage wurde
der Rest eher technisch, und Jed blätterte schnell weiter, um die wichtigsten
Informationen zu finden. Es war offensichtlich, dass ein gewisser wohldurchdachter
Optimismus, der eine möglichst breite Käuferschicht zu überzeugen suchte, bei
der Konzeption der Kamera den Ausschlag gegeben hatte. Diese bei Produkten der
modernen Technik weitverbreitete Tendenz war jedoch keinesfalls eine
Notwendigkeit. Anstelle der Programme FEUERWERK , STRAND , BABY 1 und BABY 2 zum Beispiel, die der Photo
Style Selector des Apparats anbot, hätte
man durchaus auch BEERDIGUNG , REGENTAG , GREIS 1 und GREIS 2 finden können.
    Warum eigentlich BABY 1 und BABY 2?, fragte sich Jed.
Als er auf Seite 37 der Anleitung nachschlug, begriff er, dass diese Funktion es
erlaubte, die Geburtsdaten von zwei verschiedenen Babys einzugeben, um ihr
Alter in die elektronische Datei zu integrieren, die für jedes Foto erstellt
wurde. Auf Seite 38 gab es weitere Hinweise: Diese Programme waren, wie das
Handbuch versicherte, konzipiert, um den »gesunden, frischen« Teint der Babys
wiederherzustellen. Ihre Eltern wären vermutlich tatsächlich enttäuscht, wenn BABY 1 und BABY 2 auf ihren Geburtstagsfotos
ein verknittertes, gelbliches Gesicht hätten, aber Jed persönlich kannte keine
Babys; er würde auch nicht die Gelegenheit haben, das Programm HAUSTIER zu benutzen, und
das Programm PARTY wohl auch kaum – letztlich war dieser Apparat vielleicht doch nicht für
ihn bestimmt.
    Ein gleichmäßiger Regen ging über
Shannon nieder, und der Taxifahrer war ein bösartiger Dummkopf. »Here on vacation?« , fragte
er, als freue er sich schon im Voraus über Jeds Enttäuschung. » No, working «, erwiderte Jed,
der ihm diese Freude nicht machen wollte, aber der Mann glaubte ihm das
offensichtlich nicht. »What kind of job do you have?« , fragte er in einem Ton, der seinen Zweifel daran,
dass man Jed irgendeine Arbeit anvertrauen könne, deutlich zum Ausdruck
brachte. »Photography« , erwiderte Jed. Mit einem Seufzer gab der Mann seine Niederlage zu
erkennen.
    Jed hämmerte mindestens zwei Minuten
lang in strömendem Regen an die Tür, ehe Houellebecq ihm öffnete. Der Autor der Elementarteilchen trug einen gestreiften grauen Schlafanzug, in dem er beinahe einem
Sträfling aus einer Fernsehserie glich; sein Haar war zerzaust und schmutzig,
das Gesicht vom Alkohol gerötet, und er stank ein bisschen. Die Unfähigkeit,
sich zu waschen, ist eines der sichersten Anzeichen für eine Depression,
erinnerte sich Jed.
    »Es tut mir leid, dass ich im
unpassendsten Moment zu Ihnen komme, ich weiß, dass es Ihnen nicht sehr gut
geht. Aber ich bin derart ungeduldig, mit Ihrem Porträt anzufangen …«, sagte er
und setzte ein Lächeln auf, von dem er hoffte, dass es entwaffnend war. »Entwaffnendes Lächeln« ist
ein Ausdruck, den man noch in einigen Romanen antrifft und der daher einer
gewissen Realität entsprechen muss. Aber Jed hatte leider nicht das Gefühl,
dass

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