Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire
die
Lautsprecheransage geweckt, die die Passagiere für den Flug nach Paris zum
Einsteigen aufforderte. Sobald er in seiner Wohnung am Boulevard de l’Hôpital
angekommen war, rief er Houellebecq an – der wieder sehr schnell abnahm.
»Also«, sagte er, »ich habe
nachgedacht. Anstatt Ihnen ein Bild zu schenken, möchte ich lieber Ihr Porträt
malen und es Ihnen dann schenken.«
Er wartete. Am anderen Ende der
Leitung blieb Houellebecq stumm. Jed blinzelte; die Beleuchtung in seinem
Atelier war grell. Mitten im Raum war der Boden noch immer mit den zerfetzten
Resten des Bildes Damien Hirst und Jeff Koons teilen
den Kunstmarkt unter sich auf übersät. Da
das Schweigen andauerte, fügte Jed hinzu: »Ihr Honorar würde dadurch nicht in
Frage gestellt, es käme zu den zehntausend Euro hinzu. Ich habe wirklich Lust,
Ihr Porträt zu malen. Ich habe noch nie einen Schriftsteller dargestellt, ich
spüre, dass ich das tun muss.«
Houellebecq schwieg noch immer, und
Jed wurde allmählich besorgt. Doch schließlich, nach mindestens dreiminütiger Stille,
antwortete der Schriftsteller mit vom Alkoholgenuss fast lallender Stimme: »Ich
weiß nicht. Ich fühle mich nicht imstande, stundenlang Modell zu sitzen.«
»Ach, das ist völlig unwichtig! Das
Modellsitzen ist heutzutage völlig aus der Mode gekommen, niemand akzeptiert
das mehr, die Leute sind alle total mit Terminen eingedeckt oder bilden sich
das ein oder behaupten es zumindest, was weiß ich, jedenfalls kenne ich absolut
niemanden, der bereit wäre, eine Stunde lang reglos dazusitzen. Nein, um Ihr
Porträt zu malen, würde ich Sie noch einmal besuchen, um Fotos von Ihnen zu machen.
Viele Fotos: ein paar sehr allgemeine Aufnahmen, aber auch Fotos von Ihrem
Arbeitsraum und Ihren Arbeitsgeräten. Außerdem detaillierte Fotos von Ihren
Händen und der Struktur Ihrer Haut. Anschließend komme ich schon allein damit
zurecht.«
»Also gut …«, erwiderte der
Schriftsteller nicht gerade begeistert. »Einverstanden.«
»Gibt es irgendeinen Tag oder eine
Woche, in der es Ihnen besonders gut passen würde?«
»Eigentlich nicht. Die meiste Zeit tue
ich nichts. Rufen Sie mich wieder an, wenn Sie die Absicht haben zu kommen.
Guten Abend.«
Am nächsten Morgen rief Jed Franz
schon sehr früh an; dieser reagierte begeistert und schlug ihm vor, sofort in
der Galerie vorbeizukommen. Er strahlte vor Freude und rieb sich buchstäblich
die Hände, Jed hatte ihn selten so aufgeregt gesehen.
»Jetzt können wir die Sache wirklich
ins Rollen bringen … Und ich garantiere dir, dass das viel Staub aufwirbeln
wird. Wir können uns schon um die Wahl der Pressefrau kümmern. Ich habe an
Marilyn Prigent gedacht.«
»Marilyn?«
»Kennst du sie?«
»Ja, sie hat meine erste Ausstellung
betreut, ich erinnere mich sehr gut an sie.«
Marilyn hatte sich mit
fortschreitendem Alter erstaunlich gut gehalten. Sie hatte etwas abgenommen und
sich das Haar ganz kurz schneiden lassen – bei mattem, glattem Haar, wie sie es
habe, sei das die einzige Lösung, sagte sie, sie habe sich letztlich dazu
entschlossen, die Ratschläge der Frauenzeitschriften zu befolgen – sie trug
eine eng anliegende Hose aus Leder und eine gut geschnittene knappe Lederjacke,
alles in allem hatte sie nun den Look einer intellektuellen Pseudo-Lesbe, der
Männern mit ziemlich passivem Temperament möglicherweise gefallen konnte. Im
Grunde glich sie ein wenig Christine Angot – mit der Einschränkung jedoch, dass
Marilyn viel sympathischer war. Und vor allem hatte sie es geschafft, das fast
ununterbrochene Schniefen loszuwerden, das sie charakterisiert hatte.
»Es hat mich Jahre gekostet«, sagte
sie. »Ich habe meine gesamten Ferien damit verbracht, Kuren in allen
erdenklichen Thermalbädern zu machen, aber schließlich hat jemand die richtige
Behandlungsmethode gefunden. Einmal in der Woche mache ich
Schwefelinhalationen, und das wirkt tatsächlich; zumindest habe ich bisher nie
wieder damit zu tun gehabt.«
Selbst ihre Stimme war lauter und
klarer geworden, und sie sprach jetzt völlig ungeniert über ihr Sexualleben,
was Jed völlig überraschte. Als Franz ihr ein Kompliment über ihre Bräune
machte, erwiderte sie, sie sei gerade von ihren Winterferien auf Jamaika
zurück. »Ich habe toll gevögelt«, fügte sie hinzu, »die Typen dort sind absolut
geil.« Er runzelte überrascht die Stirn, aber sie wechselte bereits das Thema
und zog aus ihrer Handtasche – diesmal einer schicken, rotbraunen Ledertasche
der
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