Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire
muss man eine theoretische Argumentation
liefern. Und dazu bin ich nicht imstande, und du bist es auch nicht.«
An den folgenden Tagen versuchten
sie eine Reihenfolge für die Präsentation der Werke festzulegen und entschieden
sich schließlich dafür, rein chronologisch vorzugehen. Das letzte Bild war also Bill Gates und Steve Jobs unterhalten sich über die
Zukunft der Informatik , und anschließend
blieb noch ein Platz frei für das Porträt von Houellebecq, das Jed noch malen
musste. Gegen Ende der Woche versuchte Jed den Schriftsteller zu erreichen,
doch diesmal meldete er sich nicht, und er hatte auch keinen Anrufbeantworter.
Nach mehreren Versuchen zu verschiedenen Uhrzeiten schickte er ihm eine E-Mail,
dann eine zweite und ein paar Tage später eine dritte, aber sie blieben alle
unbeantwortet.
Nach zwei Wochen begann Jed richtig
unruhig zu werden und sandte ihm in kurzen Abständen mehrere SMS und mehrere E-Mails.
Schließlich rief Houellebecq ihn zurück. Seine Stimme war tonlos, fast
erstorben. »Es tut mir leid«, sagte er, »ich habe im Moment ein paar
persönliche Probleme. Aber Sie können kommen, um Ihre Fotos zu machen.«
IV
D ER F LUG VON B EAUVAIS nach Shannon um 13.25 Uhr des folgenden Tages wurde
auf der Website ryanair.com für 4,99 Euro angeboten, und Jed glaubte zunächst an
einen Irrtum. Als er am Bildschirm die verschiedenen Etappen der Reservierung
hinter sich brachte, stellte er fest, dass noch diverse Unkosten und Gebühren
hinzukamen; der Endpreis belief sich auf 28,01 Euro, was noch immer recht
preiswert war.
Es gab einen Shuttle-Service von der
Porte Maillot zum Flughafen Beauvais. Als er in den Bus stieg, bemerkte er,
dass vor allem junge Leute in dem Fahrzeug saßen, vermutlich Studenten, die auf
Reisen gingen oder von einer Reise zurückkamen – es war gerade die Zeit der
Februarferien. Auch mehrere Rentner und ein paar nordafrikanische Frauen mit
kleinen Kindern befanden sich darin. Also im Grunde alle bis auf die aktiven,
produktiven Mitglieder der Gesellschaft. Jed stellte auch fest, dass er sich in
diesem Bus eher am rechten Ort fühlte, weil er den Eindruck hatte, in Ferien zu fahren – während
er beim letzten Mal auf dem Flug mit Air France das Gefühl gehabt hatte, auf
einer Geschäftsreise zu sein.
Nachdem der Bus die schwierigen
Vorstadtviertel und die eher ruhigen Wohngegenden im Norden von Paris hinter
sich gelassen hatte, fuhr er recht bald zwischen Weizen- und Zuckerrübenfeldern
hindurch über die fast leere Autobahn. Einzelne große Raben flogen durch die
graue Luft. Niemand in Jeds Nähe sagte etwas, selbst die Kinder verhielten sich
ruhig, sodass er nach und nach von einem Gefühl des Friedens erfüllt wurde.
Schon zehn Jahre, sagte er sich,
schon seit zehn Jahren hatte er im Verborgenen gewirkt, und letztlich völlig
einsam. Er hatte allein gearbeitet, ohne jemandem seine Bilder zu zeigen – mit Ausnahme
von Franz, der seinerseits, wie er wusste, diskret ein paar private
Präsentationen vorgenommen hatte, ohne ihm je von den Ergebnissen zu berichten –, er hatte keine Vernissage, keine Debatte und so gut wie keine Ausstellung
besucht und im Verlauf der letzten Jahre nach und nach den Status eines
professionellen Künstlers verloren. In den Augen der Welt – und in gewisser
Weise sogar in seinen eigenen – hatte er sich allmählich in einen Sonntagsmaler verwandelt.
Diese Ausstellung würde ihm mit einem Schlag wieder einen Platz in der
Kunstszene und in den professionellen Kreisen verschaffen, und er fragte sich,
ob er wirklich Lust dazu habe. Vermutlich nicht mehr als jemand, der an der
bretonischen Küste steht und zunächst zögert, in das bewegte kalte Meer zu
tauchen – obwohl er genau weiß, dass er nach ein paar Zügen die kühlen Wellen
herrlich erfrischend finden wird.
Während Jed auf einer Bank des
kleinen Flughafens auf den Abflug wartete, warf er einen Blick auf die
Gebrauchsanweisung des Fotoapparats, den er am Tag zuvor bei FNAC gekauft hatte. Die
Nikon D3x, die er gewöhnlich für die vorbereitenden Aufnahmen seiner Porträts
benutzte, war ihm zu imposant, zu professionell vorgekommen. Houellebecq stand
im Ruf, einen abgrundtiefen Hass auf Fotografen zu haben; Jed hatte gespürt,
dass ein Apparat mit eher spielerischem, familiärem Äußeren besser geeignet
wäre.
Gleich im ersten Satz beglückwünschte
ihn die Firma Samsung nicht ohne eine gewisse Emphase zum Kauf des Modells ZRT - AV 2. Weder Sony noch
Nikon hätten daran
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