Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire
unterschiedlich sind. Das ist ein bisschen … entmutigend.«
Houellebecq nickte und breitete die
Arme aus, als verfiele er in eine tantrische Trance – aber es lag vermutlich
eher daran, dass er betrunken war und sich bemühte, auf dem Küchenschemel, auf
dem er hockte, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Als er wieder das Wort
ergriff, war seine Stimme sanft und tief, voller naiver Emotion. »In meinem
Leben als Verbraucher«, sagte er, »habe ich drei vollkommene Erzeugnisse
kennengelernt: die Schuhe Paraboot Marche, den Laptop mit integriertem Drucker
Canon Libris und den Parka Camel Legend. Diese Erzeugnisse habe ich
leidenschaftlich geliebt, ich hätte mir gewünscht, dass sie mich mein ganzes
Leben hindurch begleiten könnten, ich hätte mir, je nach natürlichem
Verschleiß, regelmäßig die gleichen Produkte gekauft. Es war eine perfekte,
treue Beziehung entstanden, die mich zu einem glücklichen Verbraucher gemacht
hatte. Ich war zwar nicht in jeder Hinsicht glücklich im Leben, aber wenigstens
hatte ich das: Ich konnte mir in regelmäßigen Abständen ein Paar meiner Lieblingsschuhe
kaufen. Das ist einerseits nicht viel, aber andererseits ist es doch eine ganze
Menge, vor allem wenn man ein ziemlich dürftiges Intimleben hat. Tja, aber
diese Freude, diese einfache Freude hat man mir nicht gelassen. Meine
Lieblingserzeugnisse sind nach ein paar Jahren aus den Regalen verschwunden,
die Produktion ist ganz einfach eingestellt worden – und im Fall meines armen
Camel-Legend-Parkas, des zweifellos schönsten Parkas, der je hergestellt worden
ist, hat sie nur eine einzige Saison angedauert …« Er begann zu weinen, dicke
Tränen rannen ihm langsam über die Wangen; er schenkte sich ein weiteres Glas
Wein ein. »Das ist brutal, wissen Sie, richtig brutal. Während die unbedeutendsten
Tiergattungen Tausende, manchmal Millionen von Jahren existieren, ehe sie
verschwinden, werden gewerbliche Erzeugnisse innerhalb weniger Tage vom
Erdboden gefegt, man räumt ihnen nie eine zweite Chance ein, sie müssen
ohnmächtig das unverantwortliche, faschistische Diktat von Produktmanagern
ertragen, die natürlich besser als alle anderen wissen, was der Verbraucher
will, und die behaupten, beim Verbraucher eine Lust
auf Neues entdeckt zu haben, die in Wirklichkeit
sein Leben in eine erschöpfende, verzweifelte Suche verwandelt, in ein endloses
Umherirren zwischen ständig anders bestückten Regalen.«
»Ich verstehe, was Sie meinen«, hakte
Jed ein. »Ich weiß, dass es vielen Menschen das Herz gebrochen hat, als die
Herstellung der zweiäugigen Rolleiflex eingestellt wurde. Aber vielleicht … vielleicht
sollte man sein Vertrauen und seine Liebe nur außerordentlich teuren Produkten
vorbehalten, die einen mythischen Status haben. Ich kann mir zum Beispiel nicht
vorstellen, dass Rolex die Herstellung der Oyster Perpetual Day-Date
einstellt.«
»Sie sind noch jung … Sie sind noch
furchtbar jung … Rolex wird es genauso machen wie alle anderen.« Er nahm sich
drei Scheiben Chorizo, legte sie auf ein Stück Brot, verschlang das Ganze und
schenkte sich wieder ein Glas Wein ein. »Sie haben sich einen neuen Fotoapparat
gekauft, haben Sie gesagt … Zeigen Sie mir doch mal die Anleitung.«
Er überflog zwei Minuten lang die
Gebrauchsanweisung für die Samsung ZRT - AV 2, wobei er nickte, als bestätige jede Zeile seine
düstere Prophezeiung. »Na ja …«, sagte er schließlich und gab ihm die Anleitung
zurück. »Das ist ein schönes Erzeugnis, ein modernes Erzeugnis, daran können
Sie sich erfreuen. Aber trotzdem müssen Sie wissen, dass es in ein oder
spätestens zwei Jahren durch ein neues Produkt mit angeblich verbesserten
Eigenschaften ersetzt werden wird.
Auch wir sind Produkte«, fuhr er fort,
»kulturelle Produkte. Auch wir sind eines Tages überholt. Dieser Prozess spielt
sich auf die gleiche Weise ab – nur mit dem Unterschied, dass es bei uns im
Allgemeinen keine eindeutige technische oder funktionale Verbesserung gibt; nur
die Forderung nach Neuheit bleibt, und zwar im Reinzustand.
Aber das macht nichts, das macht gar
nichts«, setzte er beschwingt hinzu. Er begann die zweite Wurst in Scheiben zu schneiden,
dann unterbrach er sich und intonierte, das Messer noch in der Hand, mit
kräftiger Stimme: »Lieben, lachen und singen!« Mit einer ausladenden Geste
fegte er die Weinflasche vom Tisch, die auf den Fliesen zerschellte.
»Ich sammle das auf«, sagte Jed und
sprang auf.
»Nein, lassen Sie nur, das ist
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