Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire
geboten, da konnte ich nicht
mitziehen.«
»François Pinault?«, sagte Jed
überrascht. Der Journalist Jean-Pierre Pernaut leitet
eine Redaktionskonferenz war ein
diskretes, klassisch gestaltetes Bild, das überhaupt nicht der üblichen Wahl
des bretonischen Geschäftemachers entsprach, der im Allgemeinen das Wildere
bevorzugte. Vermutlich hatte er beschlossen zu diversifizieren.
»Ich hätte vielleicht …«, fuhr Jed
fort. »Es tut mir leid … Ich hätte vielleicht eine Art Vorkaufsrechtsklausel
für die dargestellten Personen einbauen müssen.«
»So ist nun mal der Markt«, sagte
Pernaut mit breitem Lächeln, heiter und nicht nachtragend, er ging sogar so
weit, Jed auf die Schulter zu klopfen.
Der Fernsehmoderator lief wieder
vor ihnen her durch den Gewölbegang, wobei die Schöße des Schwalbenschwanzes
hinter seinem Rücken in der Luft flatterten. Jed warf einen Blick auf seine
Armbanduhr: Es war fast Mitternacht. Sie gingen wieder durch die Flügeltüren,
die zu den Empfangsräumen führten. Der Lärm in den Salons hatte inzwischen
seinen Höhepunkt erreicht, weitere Gäste waren eingetroffen, es waren jetzt
wohl vier- oder fünfhundert Personen anwesend. Patrick Le Lay war völlig
betrunken und schwadronierte lauthals inmitten einer kleinen Gruppe; er hatte
sich ganz einfach eine Flasche Châteauneuf-du-Pape gegriffen und trank mit
tiefen Schlucken direkt aus der Flasche. Claire Chazal, sichtlich angespannt,
legte ihm die Hand auf den Arm und versuchte ihn zu unterbrechen, aber der
Direktor des größten Privatsenders hatte offensichtlich gewisse Grenzen überschritten.
» TF 1 ist und
bleibt der Leader!«, brüllte er. »Ich gebe dem Kanal von Jean-Pierre keine sechs
Monate! Mit M6 war es das Gleiche, die haben geglaubt, sie könnten uns mit Loft einen reinjubeln, aber
wir haben mit Koh Lanta den Einsatz verdoppelt und haben sie in den Arsch gefickt bis zum Hals!
Bis zum Hals!«, wiederholte er und warf die Flasche über die Schulter nach
hinten. Das Geschoss streifte den Schädel von Julien Lepers und zerschellte
dann vor den Füßen dreier Männer in reifem Alter, die alle mittelgraue
Dreiteiler trugen und ihn mit strengem Blick anstarrten.
Ohne zu zögern ging Jean-Pierre
Pernaut auf seinen ehemaligen Chef zu und baute sich vor ihm auf. »Du hast zu
viel getrunken, Patrick«, sagte er mit ruhiger Stimme. Seine Muskeln waren
unter dem Stoff des Schwalbenschwanzes angespannt, und sein Gesichtsausdruck
verhärtete sich, als bereite er sich auf einen Kampf vor. »Okay, okay …«, sagte
Le Lay mit einer schlaffen, beschwichtigenden Bewegung, »Okay, okay …« In diesem
Augenblick drang aus dem zweiten Salon eine vibrierende Tenorstimme von
unglaublicher Stärke an ihr Ohr. Dann fielen Bariton- und gleich darauf
Bassstimmen in dieselbe wortlose Melodie ein, sangen sie im Kanon. Viele Gäste
wandten sich in diese Richtung um und erkannten eine berühmte Gruppe wieder,
die sich der korsischen Polyphonie verschrieben hatte. Zwölf Männer aller
Altersgruppen in schwarzen Hosen, schwarzen Bauernkitteln und mit Tellermützen
auf den Köpfen widmeten sich etwas mehr als zwei Minuten ihrer
Gesangsdarbietung, die man fast nicht mehr als Musik bezeichnen konnte, es war
eher ein Schlachtruf von erstaunlicher Rohheit. Dann verstummten sie mit einem
Schlag. Jean-Pierre Pernaut breitete die Hände leicht aus, stellte sich vor die
Menge, wartete, bis es still geworden war, und rief dann mit lauter Stimme:
»Ich wünsche Ihnen allen ein fröhliches neues Jahr!« Die ersten Champagnerkorken
knallten. Dann ging der Fernsehmoderator auf die drei Männer in mittelgrauen
Anzügen zu und schüttelte ihnen nacheinander die Hand. »Sie sitzen im Vorstand
von Michelin«, flüsterte Olga Jed zu, ehe sie sich der Gruppe näherte.
»Finanziell gesehen hat TF 1 im Vergleich zu Michelin keinerlei Gewicht. Und
anscheinend hat Bouygues es satt, ihre Verluste zu finanzieren«, konnte sie
gerade noch hinzufügen, ehe Jean-Pierre Pernaut sie den drei Männern
vorstellte. »Es wundert mich nicht sonderlich, dass Patrick eine Szene macht«,
sagte er zu den Vorstandsmitgliedern. »Er nimmt mir übel, dass ich weggegangen
bin.«
»Das beweist wenigstens, dass unser
Projekt ihn nicht gleichgültig lässt«, erwiderte der Älteste von ihnen. In
diesem Augenblick sah Jed, wie ein mit Jogginghose, Kapuzensweatshirt und einer
umgekehrt aufgestülpten Rappermütze bekleideter Typ um die vierzig, in dem er
ungläubig Patrick Forestier, den
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