Karwoche
Intimsphäre eindringe. Warum sind Sie vorhin zusammengebrochen?«
»Sie haben das Foto doch gesehen«, sagte sie und näherte sich wieder der Tränenschwelle.
»Es ist furchtbar für eine Mutter, ihr Kind so zu sehen. Trotzdem – Sie wussten, dass es passiert war.«
»Nein!«, sagte Katharina Millruth, ihre Stimme klang bestimmt, nahezu aggressiv. »Ich wusste nicht, dass es passiert war!«
Kapitel 58
I m Feuerkorb war noch Glut gewesen. Dieter hatte, nachdem er an diesem Heiligen Abend aus dem Salon nach draußen gegangen war, um alleine zu sein, frische Scheite aufgelegt, an denen jetzt Flammen hochzüngelten. Er saß in einem Campingstuhl und starrte ins Feuer, als Katharina auf die Terrasse kam. Es war so kalt, dass sie beim ersten Atemzug husten musste. Die Kälte brannte auf der Haut, als sei jeder Lufthauch mit kleinen Rasierklingen bestückt.
Es war schwer, da hinauszugehen nach allem, was geschehen war. Was sollte sie sagen, wo sie doch selbst nicht wusste, was sie glauben sollte? Sie stellte sich neben Dieter. Der Rauch biss in den Augen, aber das Feuer wärmte ihr Gesicht. Sie suchte seinen Blick und fand ihn. Aus seinem Campingstuhl sah er zu ihr hoch. Der Blick war nicht beschämt, um Vergebung bittend. Er war wütend.
Sie wusste nicht recht, was sie sagen sollte. Deshalb sagte sie: »Und? Ist was dran?«
»Nein, Herrgott!«
»Ist ja gut. Aber du kannst hoffentlich verstehen, dass mich das beschäftigt.«
»Glaubst du wirklich, dass ich ein Kind berühren würde? Unsere eigene Tochter? Traust du mir das zu?«
»Nein. Das traue ich dir nicht zu. Aber eines Tages wacht man auf, und sie sagen einem, dass der eigene Mann ein Serienmörder ist. Oder mit Kinderpornos handelt. Und du fällst aus allen Wolken. Ich habe vor so etwas immer Angst gehabt. Wie gut kennst du den anderen? Wie viel weißt du über seine dunklen Seiten?«
»Du glaubst es also doch?«
»Schwörst du mir bei allem, was dir heilig ist, dass du sie nicht angerührt hast?«
»Ich fasse es nicht.«
»Was? Dass deine Tochter diese Dinge über dich behauptet?«
»Dass … dass ich mich gegen so etwas verteidigen muss. Ich bin kein Päderast. Warum sie das erzählt? Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich glaubt sie es selber.«
»Schwörst du, dass du es nicht warst?«
»Wenn ich es getan hätte, wäre es mir doch scheißegal, ob ich beim Leben meiner Eier einen Meineid schwöre.«
»Du weichst mir aus. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.«
Dieter nahm einen Schürhaken, der neben ihm auf dem Terrassenboden lag, und stocherte in den brennenden Scheiten herum. »Wenn’s dir was gibt – ja, ich schwöre. Such dir aus, auf was.«
»Beim Leben von Leni?«
Dieter zog eine Grimasse, die seine Fassungslosigkeit zum Ausdruck bringen sollte. »Was ist das denn für ein verdrehter Mist? Hat das irgendeinen Sinn? Von mir aus. Beim Leben meiner Tochter, die behauptet, ich habe sie missbraucht. Und dazu soll mich auch noch der Blitz treffen. Sofort und da, wo’s weh tut.«
»Kannst du nicht ein Mal ernst bleiben? Nicht einmal in dieser Situation?«
»Ich bin ernst. Ernst, getroffen und enttäuscht. Nicht von Leni. Sie weiß nicht, was sie tut. Wahrscheinlich hat der Therapeut so lange auf sie eingeredet, bis sie auf diese Missbrauchsgeschichte gekommen ist. Ich weiß es nicht. Oder sie hat sich das selber zusammengereimt. Wie ich sie kenne, ist sie überzeugt, dass es passiert ist. Das ist schlimm genug für mich. Die entscheidende Frage aber ist doch: Was glaubst
du
? Was spürst du? Du kennst sie, und du kennst mich. Und du hast achtzehn Jahre mit uns beiden in diesem Haus gewohnt. Hast du irgendetwas bemerkt?«
»Nein. Natürlich nicht. Sonst hätte ich doch was getan.«
»Das weiß ich nicht.«
Katharina sah ihren Mann an, zögerte, steckte ihre Hände unter die Achseln. »Du glaubst, ich hätte das ignoriert?«
»Ich halte es für möglich. Nicht, wenn es offensichtlich gewesen wäre. Aber kleine Zweifel hättest du unter den Teppich gekehrt. Aus Angst, aus deinem Traumfamilientraum aufzuwachen.«
Katharina betrachtete schweigend das Feuer, das jetzt heftig loderte, und überlegte, ob Dieter recht hatte.
»Denk zurück. Selbst wenn du damals gar nichts bemerkt hast – es müsste doch irgendetwas geben, von dem du rückblickend sagst: Ja klar! Jetzt, wo ich es weiß, kann ich es deuten. Bin ich mit der Kleinen öfter alleine in den Stall gegangen? War sie verstört, nachdem sie mit mir zusammen war? Irgendetwas
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