Karwoche
braunen, jungenhaften Augen, was ihn noch attraktiver machte, als er ohnehin schon war. Und wenn Adrian lächelte, dann war es, als würde jemand an einem sonnigen Frühlingstag den Vorhang vom Fenster ziehen.
»Echt? Du hast viel von mir gehört?«, sagte er. »Ich bin erstaunt, dass er mich überhaupt erwähnt hat.«
»Wieso? Vertragt ihr euch nicht?«, fragte Jennifer. Sie wusste, dass Henry und Adrian nicht miteinander auskamen.
»Das weißt du doch.« Adrian schenkte ihr ein warmes Lächeln. »Du willst mich aushorchen. Du willst wissen, was mein schweigsamer Bruder dir vorenthalten hat.«
»Na ja – so ein bisschen. Aber du musst es mir nicht erzählen. Reden wir von was anderem.«
»Nein, nein! Ich weiche keiner Frage aus.« Er fasste kurz ihre Hand. Eine vordergründig beschwichtigende Geste. Doch hielt er sie einen Augenblick zu lange fest. Ein wohliger Schauer durchströmte Jennifer. Warum machte Adrian das? Vermutlich aus Gewohnheit. Männer wie Adrian gaben jeder Frau das Gefühl, sie zu umwerben, selbst wenn sie nicht an ihr interessiert waren. Oder gab es Unterschiede?
»Wir waren uns immer irgendwie fremd. Ich bin mehr der bequeme Familienmensch, weißt du. Ich mag Menschen um mich herum. Henry – Henry macht Karriere. Ich wette, er ist ein verdammt guter Arzt. So ein Dr. House, der am Ende immer rauskriegt, was dem Patienten fehlt. Henry hat nicht nur was im Kopf, er hat auch die Disziplin, was draus zu machen.«
»Die hast du nicht?«
»Nicht im Geringsten. Ich lavier mich durch’s Leben und wickel die Leute um den Finger. Dafür habe ich ein gewisses Talent. Ich glaube, ich bin ein ganz passabler Schauspieler. Da komm ich nach meiner Mutter.«
»Du arbeitest doch als Schauspieler, oder?«
»Ja. An der Bayerischen Volksbühne. Hat er das wenigstens erzählt?«
»Mhm. Und dass du … na ja, ein Händchen für Schauspielerinnen hast.«
»Das hat er nett gesagt – wenn er’s so gesagt hat. Ich hab früher jedes Jahr eine andere mitgebracht. Wirklich wahr.« Er schlug die Augen nieder und lächelte in sich hinein. Dann hob er den Blick und sah sie an. Seine dunkel geränderten Augen waren jetzt melancholisch, fast traurig. »Leider nie eine Frau wie dich.«
Jennifer hätte zu gern gewusst, was er damit meinte. Aber das wäre Fishing for compliments gewesen. »Was meinst du damit?«, sagte sie.
»Es gibt Frauen, mit denen bist du eine Zeitlang zusammen. Und wenn’s vorbei ist, hast du sie nach zwei Tagen vergessen. Und es gibt die anderen. Da weißt du, es wird lange weh tun. Du gehörst zu den anderen.«
»Du kennst mich doch gar nicht.«
»Das habe ich in dem Moment gespürt, als ich dich gesehen habe. Und deswegen bin ich scheißneidisch auf meinen Bruder.«
»Du bist ein ziemlicher Süßholzraspler.«
»Mag sein.« Er lächelte verträumt. »Ja, es stimmt wahrscheinlich. Als Frau weißt du nie, ob ich es ehrlich meine.« Er sah ihr direkt in die Augen. »Ich finde das übrigens sehr schade.«
»Was genau?«
»Dass du Zweifel hast, ob ich es ehrlich meine.«
Es war kurz vor sieben. Sie saßen, umgeben von den anderen Mitgliedern der Familie, auf der Couch im Wohnzimmer. Einst als Künstlersalon gedacht, war der protzige Pomp unter Katharinas Händen kultivierter Gemütlichkeit gewichen. Sie wollte ein Heim, in das jeder gerne zu Besuch kam. Das einem die Seele wärmte und einlud, Geschichten zu erzählen und Rotwein zu trinken. In der Ecke neben dem Kamin stand der Christbaum – fast vier Meter hoch, bis zur Zimmerdecke. Es war nicht ungefährlich gewesen, ihn zu schmücken. Jetzt strahlte er wie jedes Jahr. Katharina erwartete mit Ungeduld, dass sich die Lichter des Baumes wieder in Kinderaugen spiegelten. Noch hatte sie keine Enkel. Sollte Henry, der all die Jahre nie ein Mädchen nach Hause gebracht hatte, der Erste sein, der Kinder haben würde? Die Mutter eine Krankenschwester, die nicht wusste, wie man Gloucester aussprach?
»Lass dich von ihm nicht einseifen.« Leni war zu Adrian und Jennifer an die Couch gekommen und nahm auf der Rückenlehne Platz. Sie hielt ein Glas Punsch in der Hand. »Findest du ihn nett?«
Jennifer errötete. »Ja … er ist … bezaubernd.«
»Was sollst du auch sagen. Natürlich ist er bezaubernd. Aber was glaubst du, wie viele Mädchen hier schon heulend aus dem Haus gelaufen sind.«
»He, du Ekelpaket!« Adrian kniff seine Schwester ins Bein. »Warum sagst du so was?«
»Das hat sehr weh getan«, sagte Leni und blickte ohne den
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