Karwoche
Wallner eintraf. Die Familie Millruth war für die Osterfeiertage zusammengekommen. Katharina Millruth begrüßte Wallner herzlich, führte ihn in den Salon und bot Tee und Kaffee an. Wallner hatte seinen Besuch telefonisch angekündigt.
Im Salon saßen neben Wallner und Katharina Millruth ihr Mann Dieter, Henry, mittlerweile wieder Single, stattdessen Adrian in Begleitung einer neunzehnjährigen Schauspielschülerin namens Franzi sowie Wolfgang, der Jeans und einen abgetragenen Pullover mit Sägespäneresten trug, offenbar seine Arbeitskleidung. Katharina stellte Wallner die Familienmitglieder vor und erklärte, der Kommissar sei nicht in offizieller Mission hier, sondern wolle ein paar Hintergrundinformationen, die, wie er hoffte, für die Aufklärung des Mordes an Hanna Lohwerk von Nutzen sein könnten.
»Es gibt Hinweise, dass der Mord an Hanna Lohwerk und der Tod von Leni Millruth in Zusammenhang stehen. Wie dieser Zusammenhang konkret aussieht, ist derzeit noch unbekannt. Nur eines vorweg: Ich weiß, dass der Strafprozess für alle Beteiligten sehr schmerzlich war und grausame Erinnerungen wieder wachgerufen hat. Ich werde trotzdem nicht umhinkönnen, auch dazu Fragen zu stellen.«
»Steht denn nicht alles in den Akten?«, fragte Katharina Millruth.
»Leider nicht. Und auch das, was drinsteht, wirft die eine oder andere Frage auf. Aber dazu später.«
Katharina warf ihrem Sohn Adrian einen unauffälligen Blick zu. Er reagierte sofort und nahm die Hand seiner Freundin Franzi. »Schatz, wenn du noch mal deine Rolle für heute Abend durchgehen möchtest, wir hätten Verständnis.«
»Die sitzt eigentlich ganz gut …« Franzi bemerkte, dass Adrians Blick irgendwie seltsam war. »Aber ich seh sie mir lieber noch mal an«, sagte sie, ein wenig beleidigt, dass man sie nicht dabeihaben wollte.
Wallner fuhr mit dem Finger über ein Blatt, auf dem er sich seine Fragen an die Familie Millruth notiert hatte. »Es wäre nett, wenn Sie mir bei ein paar Unklarheiten helfen könnten. Womit fangen wir an …« Er sah sich im Raum um, bis sein Blick an Wolfgang haften blieb. »In der Akte steht, dass auf der Tatwaffe keine Fingerabdrücke waren. Sie haben die Flinte abgewischt, nachdem Sie geschossen hatten?«
»Ja«, sagte Wolfgang. »Ich stand unter Schock. Und ich hatte wohl erst nicht beabsichtigt, mich der Polizei zu stellen.«
»Das Gewehr gehörte doch Ihnen?«
»Ja. Es war zusammen mit den anderen Gewehren der Familie in diesem Waffenschrank.« Er deutete auf einen mit Jagdwaffen reichlich bestückten Schrank, den man durch die offene Tür auf dem Flur sehen konnte.
»Dann wäre es doch normal gewesen, dass Ihre Fingerabdrücke drauf sind.«
»Stimmt. Wie gesagt, ich stand unter Schock. Da denkt man nicht klar.«
»Ja, da tut man oft die seltsamsten Dinge. Haben Sie eigentlich Licht gemacht, als Sie morgens zusammen mit Ihrer Schwägerin in den Stall gingen?«
»Nein. Es war schon hell. Warum?«
»Im Bericht der Spurensicherung steht, dass die Glühbirne am Tatort kaputt war. Offenbar hatte ein Holzsplitter sie getroffen, den der Schuss herausgeschlagen hat. Auf der Leitung lag Strom, mit anderen Worten: Das Licht war eingeschaltet. Da es niemand nach dem Auffinden der Leiche eingeschaltet hat, muss es wohl gebrannt haben, als die Birne zerstört wurde.«
»Was wollen Sie damit sagen?« Katharina stand auf und ging erregt zu Wallner. »Dass mein Schwager seine Nichte sehenden Auges erschossen hat?«
»Nicht notwendigerweise. Aber so weit sind wir noch nicht. Ich hätte noch eine Frage an alle.«
Es wurde sehr still im Raum.
»Wann und wie haben Sie von Lenis Tod erfahren?« Er sah Henry an.
»Meine Mutter hat mich geweckt. Also meine damalige Freundin und mich. Wir sind nach unten in den Salon gegangen, und da hat sie es uns gesagt. Das war so um halb neun.«
»Bei mir war es genauso«, sagte Adrian. »Meine Mutter hat mich gegen halb neun geweckt.«
»Ich wurde etwas früher von meiner Schwägerin geweckt, wie Sie wissen. Ich habe eine Decke geholt und die Leiche zugedeckt.«
Wallners Blick kam jetzt auf Dieter zu ruhen. »Na ja, ich bin auch um halb neun oder so geweckt worden. Wir … wir schlafen in getrennten Zimmern. Ich schnarche.«
»Warum haben Sie Ihren Schwager geholt und nicht Ihren Mann?«
Katharina zögerte. »Weil … ich weiß auch nicht. Oder doch – mein Mann hatte sich am Fuß verletzt. Er konnte schlecht laufen. Das war’s wohl.«
»Verstehe«, sagte Wallner. »Was
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