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Karwoche

Karwoche

Titel: Karwoche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Föhr
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vermuten …«
    »Lässt Sie was vermuten?«, fragte Katharina.
    »Dass Sie mit dem tatsächlichen Ablauf der Tat nicht wirklich vertraut sind.«
    Es wurde noch stiller.
    »Ich glaube, ja, ich bin mir fast sicher: Vor drei Wochen wurde der Falsche verurteilt. Wie gesagt, meine ganz persönliche Meinung.«
    »Welchen Sinn sollte es für mich machen, ein falsches Geständnis abzulegen?«
    »So etwas geschieht relativ häufig. Über mögliche Gründe will ich jetzt nicht spekulieren. Nur – sollten Sie tatsächlich nicht der Täter sein, dann muss ein anderer Ihre Nichte erschossen haben. Und es spricht einiges dafür …«, Wallner ließ seinen Blick der Reihe nach über die Anwesenden wandern, »… dass sich derjenige hier im Raum befindet.«
    »Es reicht, Herr Wallner!« Katharina war zur Tür gegangen, die nach draußen führte. »Meine Familie wird sich das nicht länger anhören. Auf Wiedersehen.«
    Wallner trank seinen Kaffee aus und erhob sich. »Ich bedaure, dass wir so auseinandergehen müssen. Vor allem, da ich noch nicht am Ende meiner Fragen angekommen bin. Es hätte mich zum Beispiel interessiert, was Sie am Mittwochabend bei der Spedition Raubert in Hausham zu tun hatten.« Wallner sah Dieter Millruth an.
    »Nichts. Ich war dort gar nicht.«
    »Ihr Geländewagen ist auf einem Überwachungsvideo.«
    »Falls das überhaupt meiner ist: Den Wagen fährt jeder in der Familie. Der Schlüssel hängt neben der Eingangstür.«
    »Ist dann vielleicht jemand anders am Mittwochabend mit dem Mercedes gefahren?«
    »Nein«, sagte Katharina Millruth. »Wenn Sie genauere Auskünfte wollen, bitten Sie den Staatsanwalt, mit uns zu reden. Auf Wiedersehen.«
    »Vielen Dank für Ihre Gastfreundschaft. Und sollte jemand nachdenklich geworden sein – Sie erreichen mich über die Kripo in Miesbach. Frohe Ostern!«

Kapitel 30
    K reuthners Urgroßvater war Dorfpolizist in Dürnbach gewesen und hatte sich Anfang Mai 1945 den einrückenden amerikanischen Truppen entgegengestellt. Da zu dieser Zeit außer ihm keiner mehr in Dürnbach an den Endsieg glaubte, musste er es allein mit mehreren Panzern aufnehmen. Der Waffengang dauerte dreiundzwanzig Sekunden. So viel Zeit hatte man dem Urgroßvater eingeräumt, um aus dem Weg zu gehen, und ihn dann abgeknallt.
    Die Familie Kreuthner war als Verlierer aus dem Krieg hervorgegangen. Der dem Heldentod anheimgefallene Urgroßvater eignete sich vorzüglich dazu, ihm alle möglichen Untaten anzuhängen, die die Nazis vor Kriegsende am Tegernsee begangen hatten. Er kam aus kleinen Verhältnissen und war rechtzeitig in die Partei eingetreten, um nach der Machtübernahme einigen »Großkopferten«, die ihn vorher wie Dreck behandelt hatten, gehörig in den Arsch zu treten. Jetzt musste die Familie dafür büßen. Dabei traf sie nicht nur die Rache der vom Uropa Drangsalierten. Auch die früheren Parteigenossen wandten sich ab und ließen sich mit Hinweis darauf, dass Kreuthner so ziemlich alle Verbrechen in der Gegend begangen hatte, Persilscheine ausstellen. Das brachte einen gewissen Niedergang der Kreuthners mit sich, der bei einem Teil der Familie eine Neigung zu kriminellen Berufen bewirkte. Der andere Familienzweig hingegen blieb arm, aber anständig, soweit das unter den obwaltenden Umständen möglich war, und schaffte es sogar, einige seiner Kinder im Polizeidienst unterzubringen. So gelang es, die Dorfpolizistentradition des Urgroßvaters in ungebrochener Linie fortzuführen. Doch auch in dieser Linie hielt sich ein Hang zum Unseriösen, der mal mehr, mal weniger zutage trat. Kreuthner lag, verglichen mit seiner Verwandtschaft, im Mittelfeld. Ernsthafte Straftaten beging er nicht, erlaubte sich aber die eine oder andere lässliche Sünde, ein Begriff, der sich in Bayern einer weiteren Auslegung erfreute als anderswo.
    Zu den lässlichen Sünden zählte Kreuthner auch das Schwarzbrennen, worin er im Grunde seines Herzens überhaupt kein Unrecht erkennen konnte. Was sollte an der Herstellung von Alkohol falsch sein? Eine innige Geschäftsbeziehung verband Kreuthner mit seinem Onkel Simon, der seit über fünfzig Jahren dem Gewerbe des Obstlerbrennens nachging, welches er wiederum von seinem Vater erlernt hatte. Ein Brennrecht hatte er nicht. Aber in der Familie hatte noch nie jemand ein Brennrecht gebraucht. Das wurde, wie etwa auch Führerscheine, als sinnloser Papierkram betrachtet, der noch nie irgendwem Nutzen gebracht hatte. Kreuthner nahm seinem Onkel jedes Jahr an die

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