Kassandra Verschwörung
sie?«
»Spielt keine Rolle.«
»Ein Abendessen, stimmt’s?« Elder nickte. »Pass auf, tu mir einen Gefallen. Wenn du die Vierzig-Pfund-Flasche Wein bestellt hast und den edlen Tropfen kostest, frag dich: Schmeckt der auch nur einen Deut besser als das große Bier von heute Nachmittag? Ich kann dir schon jetzt sagen, wie die Antwort lautet.«
Elder lachte. »Wahrscheinlich hast du recht, Charlie.«
»So ist es, Dom, ich habe immer recht. Komm, ich bringe dich zurück.«
Joyce Parry ging nackt vom Badezimmer in ihr Schlafzimmer, wo sie, die Hände in die Hüften gestemmt, stehen blieb und die Kleidungsstücke betrachtete, die ausgebreitet auf ihrem Bett lagen. Sie konnte sich einfach nicht entscheiden. Zwei Kleider und ein Rock und eine Bluse. Und solange sie sich nicht entschieden hatte, konnte sie auch nicht die Farbe ihrer Strumpfhose oder ihrer Strümpfe festlegen, was bedeutete, dass sie auch keine Schuhe auswählen konnte, ganz zu schweigen von ihren sonstigen Accessoires.
Sie war es gewohnt, sich für bestimmte Anlässe passend zu kleiden. Vielleicht stellte dies genau das Problem dar: Sie war sich nicht ganz sicher, um welchen Anlass es sich heute Abend eigentlich handelte. Was Dominics Absichten waren, was er empfand. War er an ihrer Verwirrung schuld oder sie selbst? Sie war nervös und hatte Angst, die falschen Schlüsse zu ziehen. Aber wenn sie sich auf eine gewisse Weise kleidete, würde er vielleicht ebenfalls falsche Schlüsse ziehen.
Normalerweise war es einfach. Im Büro trug sie strenge und zweckmäßige Kleidung, weil Strenge und Zweckmäßigkeit genau das waren, was dort verlangt wurde. Für ein Abendessen zog sie sich elegant und phantasievoll an. Wenn sie zu Hause Freunde empfing, kleidete sie sich gerade leger genug, damit ihre Freunde sich bei ihr wohl fühlten.
Und zu einem intimen Abendessen mit einem Mann...? Das hing davon ab, was sie glaubte, was der Mann für sie empfand – und sie für ihn, wenn sie überhaupt etwas für ihn empfand. Da war zunächst das lange eisblaue Kleid, das fast den ganzen Körper bedeckte. Dann gab es das Jerseykleid, das ihr bis zu den Knien reichte und neben ihren Beinen auch viel Arm und Schulter zeigte. Oder den Rock und die Bluse. Die Bluse konnte mit offenem Kragen getragen werden oder geschlossen mit einer Krawatte.
Entscheidungen, Entscheidungen. Sie drehte sich um und ging zurück ins Badezimmer. Wenn sie die Wahl ihres Outfits bis zum letzten Moment offenließe, würde sie eine Blitzentscheidung treffen müssen. Und wenn schon! Er würde lachen, wenn er sie in ihrem jetzigen Zustand sähe. Die unerschütterliche Joyce. Okay, sie war schon mal aus dem Häuschen gewesen – bei ihrer ersten Begegnung. Sie waren erst Jahre später ein Liebespaar geworden, und auch dann hatte es nur einige Wochen gedauert. Er war damals noch verheiratet gewesen – wenn auch nicht mehr lange. Es hatte nicht funktioniert. Es hätte nie funktionieren können. Aber trotzdem war es damals gut gewesen.
Sie putzte sich die Zähne, drehte den Wasserhahn zu und starrte sich im Spiegel an, die Hände auf den Rand des Waschbeckens gestützt.
Silberfisch hatte Dominic altern lassen, aber sie selbst sah auch nicht mehr so jung aus. Sie fuhr sich verlegen übers Haar. Sie war nicht sicher, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, Dominic nach London zu holen. Gewiss, er strotzte nur so vor Energie und Ideen und besaß einen scharfen Verstand. In Folkestone hatte er die Ermittlungen gut vorangebracht. Auch in Cliftonville und Brighton. Er bekam vor allem deshalb etwas aus den Leuten heraus, weil er eine gewisse Autorität ausstrahlte und die Menschen glaubten, ihn beeindrucken zu müssen. Selbst die beiden Special-Branch-Männer arbeiteten gut mit ihm zusammen. Nicht unter ihm, sondern mit ihm. Das war eine weitere positive Eigenschaft von Dominic: Er spielte seine Rolle bewusst herunter, musste sich vor niemandem mit seiner Autorität aufplustern. Und dennoch manipulierte er alle die ganze Zeit.
Vielleicht gab es immer noch Dinge, die sie von ihm lernen konnte, von einigen seiner Stärken, die sie schon fast vergessen hatte. Aber von früher kannte sie auch seine Schwächen. Seine Art, Dinge in sich hineinzufressen, seine Überlegungen nicht mit anderen zu teilen. Und jetzt hatte die Hexe ihm gedroht: Wie sehr musste es ihn schockiert haben, ihre Nachricht zu erhalten? Sie würde es heute Abend herausfinden, ihn unumwunden fragen und so lange löchern, bis er es ihr
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