Kastell der Wölfe
Sommer draußen. Im Winter auch bei meinen Schafen. Jenseits von Chailey befindet sich ein Bauernhof. Der ist für meine Schafe und mich perfekt zum Überwintern. Aber im Sommer treibe ich mich immer in der freien Natur herum.«
»Was ist, wenn Unwetter Sie überraschen?«
»In dem Fall finde ich Schutz in meiner Herde«, erklärte Frank. »Einen Schäferwagen besitze ich nicht. Nur ein Zelt.«
»Gut«, sagte Bill und schlug dem Schäfer auf die Schulter. »Dann passen Sie mal gut auf die Herde auf.«
»Und wo wollen Sie hin?«
»Eigentlich wollten wir in Chailey ein Bier trinken. Das werden wir auch, aber wie hieß dieser Mensch noch mal, der die Wölfe gesehen haben soll?«
»Donald May«, antwortete Frank.
»Gut.«
»Was wollen Sie denn von dem?«
Diesmal sprach ich. »Kann sein, dass wir mit ihm ein wenig über Wölfe plaudern. Außerdem dürfen Sie nicht vergessen, dass noch vier von ihnen unterwegs sind.«
»Keine Sorge, daran werde ich immer denken. Da brauche ich nur meine beiden toten Hunde zu sehen.«
Wir verließen den Schäfer, der genug damit zu tun haben würde, seine Herde wieder einzusammeln.
Auf dem Weg zum Porsche sagte Bill Conolly zu mir: »Weißt du, was ich mir vorstelle?«
»Nein.«
»Dass ich auch ein kühles Bierchen trinken werde. Denn ich glaube, dass wir hier in Chailey übernachten werden...«
Es verging nicht mehr viel Zeit, als wir in den Ort einfuhren, der so typisch war für die Gegend. Da gab es einen Bach, an dem wir entlangrollten. Wir sahen die Häuser mit den Steinmäuerchen, auf deren Oberfläche bunte Sommerblumen ihre Blütenpracht der Welt präsentierten.
Wir hatten die Wölfe gesehen. Wir hatten auch die Richtung erkannt, in die sie gelaufen waren. Aber in Chailey war von ihrer Existenz nichts zu merken.
Dass sie sich versteckt hielten, lag auf der Hand. Aber sie hatten sich auch zuvor nicht gezeigt, denn die Bewohner benahmen sich unserer Meinung nach völlig normal.
Kinder spielten im Freien. Menschen saßen in ihren Gärten. Es gab einige Geschäfte, auch ein Amt – Kneipen sowieso –, und um die breitere Hauptstraße herum hatten sich die Häuser ausgebreitet wie ein dickes Geschwür. Das alles nahmen wir wahr und hakten es als ein Stück Normalität ab.
»Wo sind die Wölfe?«, fragte Bill.
»Wünsch sie dir nicht herbei.«
»Nein, nicht jetzt. Aber mir will dieses komische Kastell im Wald nicht aus dem Sinn.«
»Ein perfektes Versteck«, sagte ich. »Niemand macht einen Ausflug dorthin, hat der Schäfer gesagt.«
»Höchstens Fremde wie wir.« Bill lächelte, und ich wusste, was wahrscheinlich unser nächstes Ziel war.
Wir hatten uns vorgenommen, nicht eher zu verschwinden, bis wir die Wölfe gesehen hatten. Ob man sie als normale Tiere ansehen musste oder ob sie zu einer Art gehörten, die man als Werwölfe bezeichnen sollte, musste sich herausstellen.
Eher nicht...
»He, da wohnt ja der Tierarzt.« Bill hatte an der Hauswand ein Schild entdeckt.
»Dann halt mal an.«
Wir hofften, dass uns der Mann etwas weiterbringen würde, aber sicher war das auch nicht.
Das Haus stand auf einer Wiese. Es war zur Seite hin abgeflacht, und ich musste unwillkürlich an die Tierärztin Maxine Wells denken, die im fernen Dundee lebte und zu meinen Freundinnen zählte. Mit ihr und dem Vogelmädchen Carlotta hatte ich schon manches gefährliche Abenteuer erlebt. Jetzt war ich auf einen »normalen« Tierarzt gespannt.
Um das Haus zu erreichen, mussten wir über einen plattierten Weg gehen. Noch bevor wir vor der Tür standen, entdeckten wir das Schild neben dem Eingang.
»Die Praxis ist bis zum Beginn der neuen Woche geschlossen«, las der Reporter vor.
»Ach nein...«
»Er mag eben keine Wölfe.«
»Meinst du, dass das der Grund ist?«
Bill hob die Schultern. »Kannst du mir denn einen anderen sagen?«
Das konnte ich nicht. Dafür hörte ich etwas. Die Stimmen waren mir schon vorher aufgefallen. Jetzt wurden sie noch von hämmernden Lauten übertönt.
Auch Bill war das aufgefallen. Er drehte sich auf der Stelle und sagte: »Das muss hinter dem Haus sein.« Er runzelte die Stirn. »Hört sich an, als würde dort gearbeitet.«
»Lass uns nachschauen.«
Über den gepflegten Rasen mussten wir nicht gehen. Auch an der Seite gab es einen Weg, allerdings schmaler als der, der zur Haustür geführt hatte. Die Geräusche wurden lauter.
Als wir um die Ecke bogen, sahen wir tatsächlich die Handwerker. Es waren drei Männer, von Beruf offenbar Schreiner,
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