Kastell der Wölfe
denn sie waren damit beschäftigt, Fenster einzusetzen.
Einer schaute zu und gab Anweisungen, die anderen beiden – sie waren wesentlich jünger – kümmerten sich um die Fensterrahmen.
Das Haar des Zuschauers sah aus wie weiß gefärbte Wolle. Sein Gesicht war durch einen Sonnenbrand ziemlich gerötet. Er trug eine Latzhose und hatte kein Hemd an. Gehört hatte er uns wohl nicht, aber vielleicht unsere Schatten gesehen, denn er drehte sich zu uns um.
»Können wir mal reden?«, fragte ich, nachdem wir ihn begrüßt hatten.
»Worum geht es denn?«
»Nur ein paar Fragen.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was das soll?«
»Bitte.«
Er kam auf uns zu. Seine Augen waren ein wenig verengt. Vielleicht war er misstrauisch. Schließlich kannte er uns nicht.
»Der Tierarzt ist nicht zufällig in der Nähe?«, fragte ich.
»Keine Ahnung. Er ist weg, aber hat mir nicht gesagt, wohin er gegangen ist. Wieso wollen Sie das überhaupt wissen?«
Ich zeigte ihm meinen Ausweis.
»He, Polizei? Und das bei uns.«
»Wir sind gewissermaßen auf der Durchreise«, erklärte ich lächelnd, »und haben nur ein paar Fragen an den Tierarzt.«
»Da kann ich nicht helfen.«
»Sagen Sie das nicht. Sie brauchen uns auch keine Auskunft über Tiere zu geben, uns interessieren mehr die neuen Fenster, die Sie einsetzen wollen. Oder besser gesagt, die alten Fenster.«
»Wieso das denn?«, fragte er verwirrt.
»Bitte...«
»Die waren zerstört. Sonst wären wir ja nicht hier, um neue einzusetzen.«
»Klar. Wissen Sie auch den Grund für diese Zerstörung? Hat jemand Steine in die Scheiben geworfen, zum Beispiel?«
Der Mann kratzte sich am Nacken. »Sie wollen vielleicht was wissen, Mister.«
»Kann ja sein.«
»Nein, da haben Sie sich geirrt. In diesem Fall wirklich nicht. Keine Steine.«
»Sondern?«
Er lächelte breit. »Man hat davon gesprochen, dass Tiere durch die Scheibe gesprungen sind.«
Bill und ich taten überrascht. »Tiere? Hunde? Rehe, Füchse oder wie?«
»Das dürfen Sie mich nicht fragen. Ich bin schließlich nicht dabei gewesen.«
»Klar. Ich dachte nur, Sie hätten was gehört.«
»Nur Gerüchte.«
»Welcher Art?«, fragte Bill.
»Es ist in der Dunkelheit passiert. Der Arzt ging davon aus, dass es große Hunde waren. Wie Wölfe.« Jetzt lachte der Mann. »Kann ja sein, dass sich ein Tier an seinem Doc rächen wollte. In unserer Welt passiert doch alles Mögliche. Ganz im Gegensatz zu früher. Da ist wirklich vieles verrückt.«
»Wölfe also.«
»Das hat er gemeint. War nur ein Vergleich.«
»Dann gehen Sie also davon aus, dass es in dieser Gegend keine Wölfe gibt«, vergewisserte ich mich.
»Genau. Ich habe noch nie zuvor einen Wolf gesehen. Meine Leute und ich setzen nur die beiden Fenster ein. Damit hat es sich.«
»Danke!« Bill lächelte. »Und Sie wissen nicht, wo sich Dr. Wilson aufhält?«
»Schauen Sie mal in einem Pub nach. Wilson hat jetzt Pause.«
»Danke für den Tipp«, sagte ich. »Aber eines möchten wir noch gern wissen.« Auch wenn der Mann die Augen verdrehte, ich wurde meine Frage los. »Kennen Sie eine Familie mit dem Namen May?«
»Ja, die Mays wohnen hier.«
»Wo können wir sie denn finden?«
Er beschrieb uns den Weg...
Der Junge kroch durch die Büsche. Sie wuchsen dort, wo früher hohe Mauern gestanden hatten. Jetzt waren sie eingefallen, mit Moos bedeckt und Wohnstätten für zahlreiche Kleintiere, die manchmal eine Delikatesse sein konnten, wie der Junge wusste.
Aus seinem Ausflug zu den Menschen war leider nichts geworden. Man hatte ihn wieder zurückgeholt. Zu gern hätte er erlebt, wie diese Menschen sich verhielten, denn in den Tiefen seines Herzens spürte er, dass er zu ihnen gehörte und nicht zu den Wölfen. Die Sehnsucht blieb in ihm bestehen. Sie war wie ein Drang, der sich immer mehr steigerte. Er wollte in die Nähe der Menschen gelangen, aber man ließ ihn nicht aus den Augen. Die Ruinen des Kastells wurden bewacht. Ständig streiften seine Brüder – die Wölfe – umher. Sie hegten und pflegten ihn, aber sie bewachten ihn auch, damit er nicht wieder weglief.
Er hatte die Menschen gesehen. Einen Jungen ähnlich wie er selbst. Er hatte gesehen, wie er sich bewegte – nicht auf vier, sondern auf zwei Beinen. Die Arme hatte er gar nicht gebraucht, um sich fortzubewegen. Das hatte ihn sehr aufmerksam werden lassen. Es hatte ihm gefallen, denn er konnte viel mehr sehen, weil er größer war.
In dieser Gegend war alles dicht bewachsen. Das
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