Katakomben (Van den Berg) (German Edition)
jetzt zu schweigen. Beim Verabschieden lachten sie. Der Kommissar war sich sicher, dass ihm Marie schon bald wieder aus der Hand fressen würde.
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Ein Dutzend Polizisten waren in der Sondereinheit. Van den Berg hatte nicht die leiseste Absicht, die Kollegen bis ins letzte Detail in seine Kenntnisse und Pläne einzuweihen. Selbst Deflandre nicht, der sein engster Partner war. Und Vermeulen würde auch nur das zu hören bekommen, war er preisgeben wollte. Van den Berg wusste um sein Image als Einzelkämpfer und das war ihm herzlich egal. Deflandre war der Einzige, dem er vertraute. Manchmal brauchte er ihn, denn es gab Dinge, die nicht einmal van den Berg allein schaffen konnte.
Ich muss Nicole anrufen, dachte van den Berg und griff im gleichen Augenblick zum Hörer. Sie nahm nicht ab - der Kommissar sprach ihr ein paar verbindliche Sätze auf die Mailbox.
Nicole Vandereycken hatte bereits einen exzellenten Ruf als Polizeipsychologin, obwohl sie erst 27 war. Es war fast genau ein Jahr her, dass sie zusammen mit van den Berg einen Ritualmord aufklärte, der das ganze Land in Atem hielt. Sie hatten eine 17-jährige in der Badewanne gefunden, der man die Zunge herausgeschnitten hatte. Van den Berg hatte sich in verschiedenen Sackgassen festgerannt.
Seinen Entschluss, eine Psychologin hinzuzuziehen, hatte er spontan gefasst und weil er nicht weiterkam. Nicole hatte keinen Schimmer von Polizeiarbeit, aber sie war klug - das hatte van den Berg schnell verstanden. Nicole war unvoreingenommen, dachte nicht in Konventionen, und sie war radikal. Die Psychologin legte los wie eine Dampfwalze, sie verdächtige jeden im Dunstkreis des toten Mädchens, die beste Schulfreundin, die Eltern, sogar die Großmutter. Die gesamte Verwandtschaft des Opfers war einem gnadenlosen Kreuzverhör ausgesetzt. Der Vater des Mädchens hatte einen Wutanfall bekommen, die Großmutter war in Tränen ausgebrochen, als sie begriffen, dass man ihnen den Mord zutraute.
Van den Berg war fasziniert davon, wie cool die Psychologin Widerstände wegsteckte. Bei ihrer unerbittlichen Art, Gesprächpartner in die Enge zu treiben, fühlte sich der Kommissar mitunter an die spanischen Inquisitoren des 15.Jahrhunderts erinnert. Mit Finten und Halbwahrheiten hatte sie den Hauptverdächtigen schließlich erst in Widersprüche verwickelt und dann so sehr in die Enge getrieben, dass er mitten in der Nacht ein tränenreiches Geständnis ablegte. Nicole genoss im Brüsseler Kommissariat fortan mindestens Respekt. Nur sie selbst war nicht mit sich zufrieden gewesen, sie ärgerte sich, nicht schneller auf die Lösung gekommen zu sein. Van den Berg holte eine schwere Schwarte aus dem Regal, die er tags zuvor in einem Antiquariat erstanden hatte – die Geschichte der Habsburger. Seine Lieblingsfigur war Karl V, der in Gent geboren war, genau wie er. Ihn faszinierte, wie es die alten Kaiser geschafft hatten, ein Riesenreich durch geschickte Kriegsführung zu erobern, in dem die Sonne niemals unterging, aber vor allem, indem sie die richtigen Frauen heirateten. Große Herrscher wie Karl V, die waren seine Kragenweite. Manchmal stellte er sich vor, mit einem gewaltigen Heer in die Schlacht zu ziehen und in der Wiener Hofburg oder im Prager Hradschin zu residieren.
Sein Interesse für das 16. und 17. Jahrhundert hatte auch damit zu tun, dass das mittlerweile so unbedeutende Belgien als Teil der spanischen Niederlande ein wichtiger Teil in Europa gewesen war. Es machte ihn traurig, dass die belgische Monarchie nur noch ein vergilbtes Abziehbild seiner ruhmreichen Vergangenheit war. Dennoch verfolgte er die Politik des belgischen Königs Albert II, an dem er dessen nicht ganz uneigennütziges Eintreten für die Einheit Belgiens schätzte. Flamen, die für die Loslösung Flanderns kämpften, machten ihn rasend.
Van den Bergs Telefon schellte. Das geht aber schnell, dachte sich van den Berg. „Du hast Sehnsucht nach mir, Herr Hauptkommissar?“, fragte sie mit ihrer hellen mädchenhaften Stimme. „Du hast es erraten, aber Hauptkommissar bin ich deswegen noch lange nicht“, gab er mit einem lauten Lachen zurück. Nicole wurde ernster: „Ich hab schon gehört von dem Mädchen. Hört sich wirklich nicht schön an. Habt ihr schon was?“ „Willst du mich auf den Arm nehmen? Ich weiß gar nicht, wo wir anfangen sollen.“ „Dann ist ja klar, dass du mich angerufen hast!“ „Du weißt doch, ohne dich sind wir grundsätzlich aufgeschmissen“,
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