Katakomben (Van den Berg) (German Edition)
Blick auf den Sand und das Wasser schärfte seinen Verstand, setzte Gedanken und Emotionen frei, die in Brüssel unter der Dunstglocke blieben. Er setzte sich neben die blonde Frau auf die Bank.
Es dauerte eine Weile, bis sie begannen, miteinander zu sprechen. Von Anfang an war van den Berg von der Frau fasziniert. Ihm gefielen der Klang ihrer Stimme und ihr Lächeln. Marie lebte in Paris, im vornehmen achten Arrondissement, in der Nähe des Eiffelturms. Sie studierte Deutsch und Spanisch an der Sorbonne. Nie hatte van den Berg eine leidenschaftlichere Beziehung erlebt, als mit dieser zierlichen Frau, die ihn immer wieder mit verrückten Ideen überraschte. Er dachte an den Tag, als sie am Kommissariat mit einer alten Harley Davidson auftauchte und sie spontan an den Atlantik fuhren und erst im Morgengrauen in Biarritz ankamen.
Van den Berg verschanzte sich mit Deflandre und Nicole in seinem Büro. Er gab Anweisung, nicht gestört zu werden. Die Stimmung im Kommissariat war gereizt. Journalisten hatten sich am Morgen bei van den Berg gemeldet und ihn gefragt, warum es noch keine heiße Spur gab. Zwei grauenhafte Mordfälle mussten aufgeklärt werden, sie brauchten Ergebnisse und das möglichst schnell.
Die außergewöhnlichen Umstände des Verbrechens ließen die Phantasie der Journalisten ins Kraut schießen. Eine Boulevardzeitung erfand den „ Negligé -Killer“, eine andere erschuf das „Giftmonster“. Van den Berg hatte eine tiefe Abneigung gegen die reißerische Berichterstattung der bunten Blätter.
Vor einem Jahr, als er sich mit dem bizarren Ritualmord beschäftigen musste, war er mit einem jungen ehrgeizigen Fernsehjournalisten aneinandergeraten, der ihm und seinen Kollegen in einer Live-Sendung Unfähigkeit bei den Ermittlungen vorgeworfen hatte. Er war auf den Provokateur mit Fäusten losgegangen, Deflandre hatte ihn im letzten Moment davon abgehalten, zuzuschlagen. Fotos der Auseinandersetzung, die den aufgebrachten Kommissar mit wutverzerrter Fratze in Großaufnahme zeigten, waren in einigen Zeitungen auf den Titelseiten gedruckt worden.
Mit Journalisten sprach er nicht mehr. Der Polizist hatte damals überlegt, alles hinzuschmeißen. Nur Marie und die Kollegen, die sich geschlossen hinter ihn stellten, hatten ihn umgestimmt. Jetzt war er wieder da, der öffentliche Druck, dem er sich nicht entziehen konnte, der ihn rasend machte.
Der Kommissar orderte einen ganzen Stapel Bücher über exotische Gifte. Er hatte wenig Lust, das Internet nach Informationen durchzuforsten, ebenso wenig wollte er die Recherche De Breuyn überlassen.
Er fand vor allem medizinische Abhandlungen über die Wirkungsweise des Giftes und über dessen früheren Einsatz als Medikament, im Wesentlichen das, was De Coster schon lang und breit doziert hatte. Als es ihm reichte mit der anstrengenden Lektüre, stieß er auf eine Passage, die ihn neugierig machte. Das Kapitel beschrieb ausführlich, wie Indianer im Amazonas Curare zur Jagd eingesetzt hatten und um sich gegen die Eroberer zur Wehr zu setzen. Aber ein Zusammenhang zu seinen Fällen fiel ihm nicht ein. Van den Berg eilte in den Besprechungsraum und holte die große Metalltafel aus dem Schrank, die er schon oft für Tatortskizzen und andere Aufzeichnungen benutzt hatte.
Mit einem schwarzen Filzstift skizzierte der Kommissar die Namen der Opfer, die Tatorte und die Personen im Umfeld der Toten. Dann schrieb er die Namen Muller und Grangé dazu. Van den Berg blickte zu Nicole. „Eric glaubt, dass wir es mit einem Psychopathen zu tun haben.“ „Es spricht einiges dafür, dass der Täter eine Persönlichkeitsstörung hat. Er hat seine Opfer vergiftet, wahrscheinlich wollte er, dass sie elendig ersticken. Mitgefühl ist für diesen Typen ein Fremdwort. Ich bin mir trotzdem nicht sicher, dass es ihm darum geht, seine Opfer leiden zu sehen.“ „Wenn er sie nicht leiden sehen will, warum denkt er sich dann so was Krankes aus?“ „Er will beachtet werden und Schrecken verbreiten. Er hat sich zwei große Kirchen ausgesucht, er hat zwei Menschen umgebracht, mit einem exotischen Gift, er hat Zeichen hinterlassen. Das ist deutlich.“
Deflandre grinste. „Da hat uns dein wallonischer Genius ja mal wieder ein großes Stück weitergebracht.“ Nicole blieb cool, sie fragte sich nur, woher ihr Kollege wusste, dass ihre Großeltern aus Liège stammten. Dem Kommissar platzte der Kragen. „Wenn du sonst nichts beizutragen hast, hältst du jetzt die
Weitere Kostenlose Bücher