Katakomben (Van den Berg) (German Edition)
ihn niemals kriegen.
Im Kommissariat dominierte das monotone Klingeln der Telefone, die einfach keine Ruhe gaben. Draußen lechzten ganze Heerscharen von Journalisten nach Details. Die belgischen Nachrichtensender hatten kaum ein anderes Thema als den Mann, dessen Fahndungsfoto sie pausenlos zeigten.
Die Sonderkommission hatte große Mühe, die Flut von Hinweisen abzuarbeiten. Drei Anrufer setzten die Ermittler auf die richtige Spur, sie hatten Jorge auf der Rue Neuve gesehen. Die heulenden Sirenen der Streifenwagen waren im gesamten Stadtgebiet zu hören.
Jorge lief weiter – jetzt fühlte er sich wie ein Getriebener, er hatte Angst, den entscheidenden Fehler zu machen. Der Riese betrat eine Drogerie. Das Geschäft führte alles, was man erwarten durfte, Jorge musste nicht lange suchen, bis er alles zusammenhatte, was er benötigte. Er kaufte eine Haarschneidemaschine und ein Färbemittel, in der Boutique nebenan eine Jacke und zwei Pullover. Er trabte hinüber auf die andere Seite des Platzes. Dort gab es einige Fastfood-Restaurants, wo er am wenigsten auffiel.
Der Spanier verschwand auf der Toilette, zog sein Hemd aus und setzte die Haarscheidemaschine an. Schnell hatte er seinen vollen Schopf auf drei Zentimeter Länge gekürzt. Hektisch massierte er die schmierige Creme in die Stoppeln ein, die nun ein schmutziges Blond annahmen. Nachdem er fast eine halbe Stunde Zeit zum Nachdenken hatte, hielt er seinen Kopf in die Kloschüssel und spülte das brennende Zeug raus. Nach einer Viertelstunde kam Jorge aus der Kabine, blickte neugierig in den Spiegel und eilte nach draußen.
Niemand hatte bemerkt, was er auf der Toilette getrieben hatte. Er stieg in ein Taxi. „Bruxelles-Midi!“ Die Fahrt dauerte zehn Minuten, Zeit genug, sich den Fluchtplan zu überlegen. Kritisch beäugte er den Mann, der am Fahrkartenschalter saß.
„Paris, einfach.“ Den Bahnhof und die Taxis wird man als Erstes checken, dachte er sich. Jetzt fühlte er sich sicher. Er lief um das Gebäude herum. Der Bus nach Antwerpen wartete mit laufendem Motor.
Die Fahndung nach Jorge lief auf Hochtouren. Überall in der Stadt heulten die Sirenen. Van den Berg spürte, wie ihm der zunehmende Druck den Magen zuschnürte. Die Medienvertreter vor dem Kommissariat riefen und maulten, kein Polizist konnte das Gebäude verlassen, ohne von den Schreiberlingen in die Mangel genommen zu werden.
Van den Berg sprach nicht mit den Hyänen, er setzte die Ellenbogen ein, um sich schnell den Weg durch die Massen zu bahnen. Das Telefon klingelte pausenlos. Im Flur kam dem Kommissar De Wilde entgegen, der nervös und abgehetzt wirkte. Van den Berg würdigte den unliebsamen Kollegen keines Blickes.
Mit jedem Anruf hoffte van den Berg, neue Hinweise zu bekommen. Doch meistens waren Journalisten an der Strippe, die er ruppig abwimmelte. Neben der Fahndung nach Jorge Ramos lief die Identifizierung der dritten Toten auf Hochtouren. Sie hatten die Vermisstenmeldungen fast durch, bei zwei Kandidaten mussten noch die Zähne mit denen der Toten abgeglichen werden.
Jorge nahm in der Mitte des Busses Platz, wo er alles perfekt im Blick hatte. Sie werden mich nicht kriegen, sie sind nicht clever genug, um gegen mich anzukommen, beruhigte er sich. In seiner Verbrecherkarriere war Jorge schon oft auf der Flucht gewesen, geschnappt hatten sie ihn nie. Er fragte sich, ob sie auf seine falsche Fährte reingefallen waren. Er lachte innerlich bei der Vorstellung, dass die Bullen gerade dabei waren, Züge nach Frankreich zu durchsuchen. Dann dachte er an das Foto, das in kurzen Abständen über die Fernsehapparate flimmerte.
Mit seinen mittlerweile mittelblonden Haaren, denen er einen unauffälligen Kurzhaarschnitt verpasst hatte und seiner schwach getönten Sonnenbrille war er definitiv nicht so leicht zu erkennen. Das glaubte er zumindest.
Für einen Spanier war Jorge extrem groß. Schon in seiner Kindheit war er oft gehänselt worden, weil er seine Mitschüler um Haupteslänge überragte. Er fühlte sich als Außenseiter, was sich erst änderte, als er ins Ausland ging. Jorge war in zerrütteten Verhältnissen aufgewachsen, mit einem Vater, der Alkoholiker war und ihn oft wegen Nichtigkeiten verprügelte. Seine psychisch kranke Mutter war nicht in der Lage, ihm zu helfen. Warum er ein Killer geworden war, wusste Jorge nicht, er dachte nicht darüber nach. Der Wert eines Lebens war für ihn gering, Menschen waren für ihn ganz einfach austauschbar.
Jorge war
Weitere Kostenlose Bücher