Kater mit Karma
dem die Nonnen untergebracht waren. Ich zog an der Tür meine Schuhe aus und schleppte mich in einen hell erleuchteten Raum.
»Setzen Sie sich«, sagte die ältere Nonne in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Verschwitzt und schmutzig ließ ich mich auf einem Plastikstuhl mit einem goldfarbenen Überwurf nieder. Niemand sagte ein Wort, aber später fand ich heraus, dass dieser Platz ausschließlich für Mönche reserviert war.
Ein rotbraunes Kätzchen tappte zu mir her und rieb sich an meinem Knöchel. Aus bernsteinfarbenen Augen sah es zu mir hoch und ich fragte mich, wie Jonah wohl das klösterliche Leben gefallen hätte. Mit seiner starken Persönlichkeit war mir Jonah ständig präsent, ich sah ihn überall, selbst in den Augen von Rennpferden und wilden Tieren. Seine Schönheit und Intensität schienen Teil eines jeden Tieres zu sein.
»Was für ein hübsches Kätzchen!«, sagte ich.
»Das ist kein Kätzchen, sondern eine ausgewachsene Katze«, erklärte mir Lydia ruhig. »Die Nonnen haben sie vor acht Jahren miauend im Dschungel gefunden. Sie hatte ein paarmal Junge, aber keins davon hat überlebt. Sie ist Vegetarierin.«
Eine vegetarische Katze? Dazu sagte ich lieber nichts. Vielleicht war sie von edler Gesinnung. Oder sie passte sich lediglich den Klosterregeln an.
»Wie heißt sie?«
»Miez. Einfach Miez.«
Der Fahrer verabschiedete sich und verbeugte sich tief vor den beiden Nonnen. Dann brachte er mich in die allergrößte Verlegenheit, indem er sich umdrehte und sich ebenso tief vor mir verbeugte. Mein Nacken wurde heiß. Wahrscheinlich wurde ich sogar rot.
»Das machen wir so bei der ältesten anwesenden Person«, erklärte mir die ältere Nonne.
Ich hätte unmöglich sagen können, wie alt sie war – dreißig oder vierzig? Sie hatte eines dieser faltenlosen Heiligengesichter. Später fand ich heraus, dass sie gerade mal zwei Jahre jünger war als ich– wir waren beide dem Rollator näher, als ich gedacht hätte.
Sich vor jemandem verbeugen – bloß weil er oder sie alt war? Das war ja eine komplette Umkehrung der kulturellen Rangordnung.
»Alte Menschen bringen Segen«, sagte sie mit einem strahlenden Lächeln.
Mein erster Tag in Sri Lanka war mit so vielen ungewohnten Erlebnissen angefüllt gewesen, dass ich mir langsam wie Alice im Wunderland vorkam. Da ich aus einem Kulturkreis kam, in dem die Jugend angebetet und graue Haare verachtet wurden, fand ich es am merkwürdigsten, verehrt zu werden, nur weil ich ein paar Falten hatte. Nicht, dass ich mich gern als alt betrachtete, lieber gereift mit einer Chance auf etwas Weisheit.
Nachdem der Fahrer sich ein letztes Mal für die Panne entschuldigt hatte und gegangen war, führte Lydia mich über eine Außentreppe nach oben zu unseren Zimmern. In meiner Müdigkeit nahm ich nicht mehr als apricotfarbene Wände, eine nackte Glühbirne, einen Tisch mit einem weißen Plastikstuhl und ein Bett mit einem blauen Moskitonetz darüber wahr.
Die Luft war stickig und heiß. Lydia öffnete die Fenster, Sie sagte, sie habe in ihrem Zimmer nebenan bisher keine Probleme mit Moskitos gehabt. Gerade als sie mir den Weg zum Klo erklärte, wurde es schlagartig stockdunkel. Die ältere Nonne schwebte ins Zimmer, mit einem Heiligenschein von einer brennenden Kerze umgeben.
»Das ist nur ein Stromausfall, Schwester Helen«, sagte sie, stellte die Kerze auf den Tisch und schwebte wieder hinaus. Prompt erlosch die Flamme und die Kerze fiel auf den Boden.
»Hast du eine Stirnlampe mitgebracht?«, fragte Lydia.
Es folgte ein Knall. Lydia versicherte mir, es sei nichts passiert, sie sei nur über die Kerze gestolpert.
Mit den Halogenlampen auf dem Kopf leuchteten wir wie Glühwürmchen. Ich folgte Lydias Schatten hinaus auf den Balkon und dann weiter um eine Ecke über einen möglicherweise heimtückischen kleinen Buckel zu etwas, das sie taktvoll als »französische« Toilette bezeichnete – das heißt, ein paar Fliesen mit einem Loch in der Mitte, dazu ein Eimer und eine Klobürste; eine Spülung gab es nicht. Im Vergleich dazu war die Toilette in Kuala Lumpur ein Höhepunkt der Sanitärtechnologie gewesen. Unfassbar, wie zimperlich und albern ich mich vor kaum vierundzwanzig Stunden benommen hatte!
Ich beschloss, dass ich mit dem Loch im Boden klarkommen würde, vorausgesetzt, dass sich dort nicht gerade Skorpione ein Nest eingerichtet hatten. Aber selbst wenn es so wäre, würde ich sicher nicht hinausgehen und zwischen Schlangen und wer weiß was
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