Kater mit Karma
Specht war, sondern eine Trommel – der morgendliche Weckruf der Mönche. Kurz darauf setzte ihr seltsamer Gesang ein. In Akkorden, die Schönberg nicht einmal im Traum eingefallen wären, schwebten ihre tiefen Stimmen durch den Dschungel. Die Töne kamen aus einer anderen Welt – Musik, wie sie vielleicht ein Schwarm Fische erzeugt hätte, wenn Fische singen könnten.
Rosa Licht drang durch die Vorhänge. Mehr als dreißig Jahre lang hatte mich das Muttersein durch alle möglichen Höhen und Tiefen geführt – von überschäumender Freude auf der Entbindungsstation bis zu tiefster Trauer an einem Grab. In all den Jahren wäre ich jedoch nie auf die Idee gekommen, dass sie mich einmal in ein abgelegenes Kloster in Sri Lanka führen würde.
Ich war froh, dass die Mönche mich nicht zur Teilnahme an den frühmorgendlichen Gesängen eingeladen hatten. Vielleicht durften das ja auch nur Männer. Das Klosterleben schien die Vermischung der Geschlechter nicht gerade zu fördern. Die Mönche waren ziemlich weit entfernt von den Nonnen auf der anderen Seite des Hügels untergebracht.
An Schlaf war nicht mehr zu denken. Ich kroch aus dem Bett und fragte mich, was Vogue unter den gegebenen Umständen empfohlen hätte. Eine weiße Hose und ein überwiegend weißes, langärmliges Oberteil erschienen mir vernünftig – und ich war selbstverständlich gerne bereit, die Rolle der Schülerin einzunehmen, was auch immer das bedeuten mochte. Helle Kleidung hielt außerdem Hitze und Insekten ab. Ich zog die Kniestrümpfe hoch und liebäugelte kurz mit den Marcel-Marceau-Handschuhen – dann legte ich sie in den Koffer zurück.
Lydia begleitete mich nach unten in den Speiseraum, ein schlichtes Rechteck mit zwei Tischen mit Plastikdecken, einem Spülbecken und einer Mikrowelle. Eine Fensterfront gab den Blick frei auf die üppige, in der Sonne fröhlich glänzende Pflanzenwelt. Ich konnte eine Bananenstaude und ein paar Kokospalmen ausmachen, sie standen dicht gedrängt und waren größer und grüner als alles, was ich kannte, so als hätte man ihnen Wachstumshormone verabreicht. Die meisten Bäume und Pflanzen waren mir jedoch unbekannt. Nicht zum ersten Mal schämte ich mich für meine Unwissenheit.
Auf einem der Tische standen Fladenbrot, Dhal, köstlich gewürzte Reisbällchen und Bananen. Außerdem ein Becher Margarine mit einer grellbunten Aufschrift und ein Glas Vegemite. Von diesen beiden Importen abgesehen, stammte alles aus dem Kloster selbst. Ein bekömmliches, sättigendes Frühstück. Als ich zu Lydia sagte, dass es einen gesunden Eindruck mache, erklärte sie mir, es basiere auf ayurvedischen Prinzipien, wonach Nahrung Medizin ist.
Offen für alles, was der kommende Tag für mich bereithielt, fragte ich, ob Lydias Lehrer vielleicht Unterricht gab, an dem ich teilnehmen konnte. Seine Geschäfte hatten ihn jedoch über Nacht in Kandy festgehalten und er ließ sich entschuldigen. Lydia erbot sich, mich herumzuführen, und schlug vor, später mit den Nonnen in die Stadt zu gehen. Ach ja, fügte sie hinzu, am späten Vormittag würde auch noch eine Wahrsagerin aus dem Dorf heraufkommen.
Nachdem wir unsere Schüsseln gespült und weggeräumt hatten, zeigte mir Lydia den Meditationssaal weiter oben auf dem Hügel. Hier hatte sie viel Zeit allein verbracht, manchmal mehr als zwölf Stunden am Tag, und im Sitzen und Gehen meditiert. In dem weitgehend kahlen Raum war es stickig und still.
Um besser zu verstehen, was sie hier gemacht hatte, bat ich sie, mich in einer kurzen Meditation zu unterweisen. Mit geschlossenen Augen auf einem blauen Kissen am Boden sitzend lauschte ich ihrer Stimme. Sie klang stark und gebieterisch und wies mich an, auf meinen Atem zu achten. Ich versuchte es, aber der Schweiß lief mir in Strömen über den Rücken und ich begann, mich schwindlig zu fühlen.
Wie ein ungehorsames Schulkind unterbrach ich sie und fragte, ob ich mich vielleicht auch ausgestreckt auf den Boden legen dürfte. Sie nickte gnädig. Doch selbst in der Horizontalen fühlte ich mich unwohl. Mein rechtes Bein fing an zu zucken und mein Hals war trocken. Vielleicht lag es am Jetlag, ich war jedenfalls froh, als die Sitzung vorbei war.
Lydia zeigte mir die Unterkunft ihres Lehrers, ein hübsches Häuschen mit Blick über das Tal. Anschließend gingen wir weiter zur Unterkunft der Mönche, wo an einer Wäscheleine rotbraune Gewänder flatterten. Momentan lebten neun Mönche hier, sagte Lydia. Die meisten davon Jungen im Alter
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