Kater mit Karma
an einem Süßwarenladen mit Teeausschank zu halten. Nach der Massage, die die Schlaglöcher meinen inneren Organen verabreicht hatten, war es eine Wohltat, mir die Beine vertreten zu können. Neugierige Gesichter beobachteten, wie der Mönch, die Nonnen, Lydia und ich in den Laden gingen.
Meine Augen brauchten eine Weile, bis sie sich an das Dämmerlicht im Inneren gewöhnt hatten. Der Laden war spärlich eingerichtet, aber es herrschte eine freundliche Atmosphäre. Ich fühlte mich sofort zu Hause. Die Sri-Lanka-Version von Spoonful. An einer Theke neben der Tür suchten wir uns hausgemachte Süßigkeiten aus und setzten uns auf eine Bank. Der Service war erstklassig, wenn auch nach westlichen Maßstäben personell überbesetzt. Eine Bedienung brachte uns die Süßigkeiten, eine zweite goss uns Tee ein und mindestens drei sahen dabei zu.
Von einem Foto hinter der Theke blickte ein ernster, gutaussehender Mann mit Schnauzbart auf uns herab. Eine ältere, noch ehrfurchtgebietendere Version von ihm stand an der Tür. Ich wagte ein Lächeln. Er erwiderte es mit blitzenden Augen.
Wir genossen den starken Tee und die köstlichen Schleckereien. Die wunderbar nussigen Sesamplätzchen waren Weltklasse. Die Kugeln aus unraffiniertem Rohrzucker belegten knapp dahinter den zweiten Platz. In Sachen Kokoseis war ich Expertin, weil mein Vater immer welches für uns gemacht hatte. Das Eis, das sie in diesem Laden verkauften, rosa und weiß geschichtet und mit Früchten bestreut, war das Beste, das ich jemals gegessen hatte.
Danach kletterten wir wieder in den Transporter und unser Fahrer nahm beherzt die letzten Hügel nach Kandy in Angriff. Er tat sein Bestes, die Kupplung nicht. Sie quietschte, ruckelte und gab schließlich in einer steilen Kurve vollends den Geist auf. Schwitzend und matt trotz des vielen Zuckers, den wir vertilgt hatten, standen wir am Straßenrand, derweil der Fahrer und einige neugierige Passanten in die Eingeweide des Motors starrten.
Ein liebenswürdiger Cafébesitzer lud uns ein, an Tischen mit rot-weiß karierten Tischdecken Platz zu nehmen. Wir bestellten Cola in Dosen und warteten. Der Mönch holte sein Handy heraus und rief einen Mechaniker an. Über unseren Köpfen kreisten Fliegen, unsere Füße wurden von Moskitos umschwirrt. Ich griff nach dem hochwirksamen Insektenschutz in meiner Handtasche und musste feststellen, dass der Sprühkopf fehlte. Das Ding hatte ich den ganzen Weg von Australien hierher mitgeschleppt, und jetzt funktionierte es nicht!
Unter normalen Umständen wäre ich ausgerastet und tausend Fragen wären mir durch den Kopf gegangen: Wie lange würde es dauern, einen Mechaniker aufzutreiben? Würde er das Auto reparieren können? Würden wir in drei Tagen immer noch in diesem Café sitzen? Würde ich eine dieser von Moskitos übertragenen Krankheiten bekommen und sterben? Aber es hatte keinen Sinn, sich Sorgen zu machen oder auf die Uhr zu sehen. Ich hatte keinen Einfluss auf die Situation und trug deshalb auch keine Verantwortung. Diese Erkenntnis war erstaunlich befreiend. Derart frei von jeglichem Zwang hatte ich mich nicht mehr gefühlt, seit ich mit Anfang zwanzig allein durch Samoa gereist war.
Lydia war so liebevoll und offen wie seit Jahren nicht mehr, während wir Cola tranken und uns unterhielten. Sie erkundigte sich ausführlich nach jedem Familienmitglied – sie wollte wissen, ob Annie Fortschritte beim Krabbeln machte und ob uns Jonahs »kleines Problem« immer noch in den Wahnsinn trieb. Ich schöpfte neue Zuversicht, weil mir klar wurde, dass sie uns nicht aufgeben wollte, selbst wenn sie vorhatte, Nonne zu werden und auf Dauer in diesem Land zu leben.
Die Zeit verstrich, während wir in dem Café an der Straße nach Kandy saßen. Stunden und Minuten, rechtzeitig oder zu spät – all das verlor seine Bedeutung. Wenn wir am Abend immer noch festsitzen sollten, würde uns der Besitzer vielleicht freundlicherweise auf dem Boden schlafen lassen. Und das wäre völlig in Ordnung.
Wundersamerweise tauchte der Mechaniker auf und schaffte es, die Kupplung schnell und ohne größeren Aufwand zu reparieren. Der Mönch hatte die ganze Zeit über telefoniert. Dabei hatte er festgestellt, dass er etwas Wichtiges in Kandy zu erledigen hatte. Ein Wagen holte ihn ab, und er verschwand in einer Staubwolke und ließ uns und die Nonnen zurück, um mit unserem sich ein übers andere Mal entschuldigenden Fahrer den letzten Teil der Strecke zurückzulegen. Ich hatte gehofft, der
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