Katerstimmung (German Edition)
Plastiktüte tragen, für deren Inhalt man sich nicht schämen muss. Obwohl Semicurado, Chorizo, Boquerones und Bacalao a la marinera nach genauso viel Sex-Appeal klingt wie Fessel-BH. Zumindest geiler als mittelharter Käse, Paprikawurst, Sardinen und eingelegter Stockfisch.
Tanjas Vierer-WG befindet sich in einem Haus mit mehr als zehn Parteien, und dennoch hat Klingelbingo hier keine Chance. Statt Namen können wir nämlich nur Zahlen von eins bis sechs in Kombination mit den Kürzeln IZQD oder DRCH auf den kleinen Schildchen entdecken. Bevor ich mein inneres FBI-Team mit der Dechiffrierung beauftragen kann, verrät uns Tanja, dass die Zahlen das Stockwerk angeben und izquierda links, derecha rechts bedeutet. Da ich normalerweise schon Probleme habe, Lennys Klingel trotz Namensangabe zu finden, bin ich mir sicher: Wohnte ich in Spanien, ich würde einer der vermutlich verhassten Verdachtsklingler sein.
«Hat natürlich den Vorteil, dass One-Night-Stands es schwieriger haben, den Ort der vergessenen Ohrringe wiederzufinden», zwinkere ich Lenny zu, während wir auf den Aufzug warten. Anders als er vorhin achte ich darauf, dass Tanja das nicht hört. Aber Lennys Laune ist bereits auf –1 IZQD-Kellerniveau gesunken.
Als Erstes lernen wir Tanjas italienischen Mitbewohner Mauro kennen. Er steht in Boxershorts und Unterhemd in der Küche und macht auf der einzigen Herdplatte, auf der kein dreckiger Topf steht, Rührei. Über seiner rechten Schulter hängt ein Spültuch, das sich offensichtlich seit mehreren Monaten einen Besuch in der Waschmaschine herbeisehnt. Auch wenn die Tageszeit nicht dafür spricht, sieht Mauro aus, als sei er gerade aufgestanden. Und dennoch verraten sein gepflegter Dreitagebart und die deutlich hervortretenden Bizepskonturen, dass er vermutlich selten alleine frühstückt.
Als er unsere volle Einkaufstüte sieht, versucht er uns freundlicherweise neben der Spüle eine Ablagefläche zu schaffen. Er stopft acht Eierschalenhälften in eine am Boden liegende Plastiktüte, die eigentlich schon voll ist und vermutlich den Mülleimer ersetzt. Erwartungsgemäß scheitert sein Vorhaben, und aus einem Loch an der Unterseite der Tüte ergießt sich eine vielfarbige Suppe auf den Küchenboden, die nach allem riecht, nur nicht nach «gut». Er flucht irgendetwas mit «cazzo» und zündet sich erst mal eine Zigarette an. Dass er Umwelt- und Ressourcenmanagement studiert, halte ich nach dieser Müllshow zunächst für einen Witz, stimmt laut Tanja aber wirklich.
Im Wohnzimmer treffen wir Marta, die wesentlich älter aussieht als die anderen. Sie kommt ursprünglich aus Kolumbien, arbeitet jetzt aber in einem Fordwerk zwanzig Kilometer südlich von Valencia im Procurement Management. Lenny übersetzt uns das als Beschaffungsmarketing, Tanja als Zulieferer-über-den-Tisch-Ziehen. Der Sessel, in dem Marta sitzt und eine Ingwerknolle über einer kleinen Schüssel schält, stammt wie die gesamte Einrichtung aus einer Zeit, in der Ingwer in Europa vermutlich noch nicht bekannt war. Tanja erzählt, dass der Eigentümer ein netter Opa ist, der die möblierte Wohnung quartalsweise vermietet. Einmal im Monat kommt er vorbei und sammelt das Geld ein, Mietverträge gibt es nicht.
Vom Laptop auf dem Wohnzimmertisch aus kämpft Manu Chao vergeblich gegen einen spanischen Fußballkommentator an, der aus einem alten Röhrenfernseher in der Holzschrankwand schreit. Mitbewohner Nummer drei, Álvaro, liegt auf der Couch und sieht sich gerade ein Spiel des FC Valencia an. Anders als mit Mauro und Marta klappt die Kommunikation mit ihm auf Englisch eher schlecht, dafür behauptet Tanja, dass er einige Brocken Deutsch könne.
«Nein, nein, ich solo habe estudiert un poquito, a little bit, alemán», relativiert Álvaro, und die folgenden unverständlichen Sätze bestätigen dies. Ich bin froh, als wir vom Fußballschreihals im Fernsehen darauf aufmerksam gemacht werden, dass eine spannende Spielsituation bevorsteht. Ich verstehe zwar kein Wort von dem, was er in doppelter FBI-Geschwindigkeit herunterrasselt, aber alleine Redefluss und Lautstärke geben exakten Aufschluss darüber, wo sich der Ball gerade befindet. Je lauter und schneller er spricht bis singt, desto näher kommt der Strafraum. Das hat einerseits den integrativen Vorteil, dass auch blinde Pinguine hier problemlos Fußball schauen könnten. Andererseits erlaubt es, während des Spiels unbesorgt zum Kühlschrank zu gehen und Bier zu holen. Spätestens beim
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