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Katerstimmung (German Edition)

Katerstimmung (German Edition)

Titel: Katerstimmung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Reinartz
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war vorhin schon in der Köln-Maschine, liest aber gerade ein spanisches Buch. Vielleicht ist die von hier», fügt er hinzu und deutet auf eine Mittzwanzigerin, die aussieht wie Mireille Mathieu in jungen Jahren.
    «Nä, weiß ich jetzt nicht, ob die uns weiterhilft», wirft Lenny ein. Wie ich ihn kenne, meint er damit aber in erster Linie die seiner Meinung nach zu wenig enge Hose und das zu locker sitzende Top. Ich stimme daher zu, dass Wilhelm seine Spanisch-Kenntnisse auspackt.
    Aus der Ferne beobachten Lenny und ich, dass die beiden offensichtlich gut ins Gespräch kommen. Mit unserem BILD -Spanisch wäre uns das bei der bestimmt nicht gelungen. Nach zwei Stationen kommt Wilhelm mit ihr zusammen zurück. Noch bevor er sie uns vorstellen kann, raunt Lenny mir zu:
    «Oh nee, jetzt bringt der uns hier so ’ne ranzige Spanierin, mit der wir uns auch noch null verständigen können.»
    «Können schon, ob ich das mit dir möchte, ist die andere Frage. Tanja», sagt die Doch-nicht-Spanierin, ohne Lenny anzuschauen, und streckt mir die Hand entgegen. «Eigentlich gibt’s hier nur Küsschen zur Begrüßung, aber damit seid ihr als Deutsche wahrscheinlich erst mal überfordert.»
    Lennys Gesichtsausdruck erinnert mich an einen australischen Nacktnasenwombat. Habe ich zwar noch nie gesehen, aber stelle ich mir ungefähr so vor. Tanja studiert Kunstgeschichte, hat schon das Sommersemester in Valencia verbracht, wird aber noch das Wintersemester dranhängen. Kein Wunder, sie studiert eigentlich in Duisburg.
    «Da kannst du ja gleich Deutsch in Leipzig studieren.» Tanja reagiert nicht auf Lennys Spruch. «Oder Architektur in Castrop-Rauxel.» Bei der ist er untendurch. «Oder …» Ich unterbreche ihn, um ihn vor größerer Schmach zu bewahren. Drei Witze in Folge ohne Lacher gibt es nur beim SAT.1-Fun-Freitag.
    «Wo geht man denn hier so weg?»
    «Hm, es gibt hier viele so kleinere Bars, die sind alle in einer Straße … Tucan, Rumbo, Whitehouse. Kann ich euch nachher aber auch zeigen. Bisschen außerhalb ist auch noch das Bananas, aber das ist so ein Prollschuppen, würd ich nicht hingehen.»
    «Oder katholische Theologie in St. Pauli!» Nichts.

    Tanja lädt uns ein, gemeinsam mit ihren WG-Mitbewohnern abendzuessen, und so schlendern wir wenig später über einen großen Boulevard in der untergehenden spanischen Augustsonne. Obwohl es schon kurz nach neun ist, sind die großen Plätze mit ihren Springbrunnen und die gepflasterten Seitengassen mit ihren kleinen Cafés voller Menschen. Doch anders als bei uns wirkt das hier weder überfüllt noch hektisch. Kinder rennen umher, ohne dass ein Vater aufspringt und «Aristid, jetzt will auch mal die Maya-Sophia auf den Balance-Stepper!» schreit. Kellner nehmen Bestellungen entgegen, ohne dass eine Mutter «Für die Kleine bitte die Rahmsauce nur mit laktosefreier Sahne» bestellt. Und Rentner unterhalten sich lachend auf Parkbänken, ohne dass einer das obligatorische «Es geht halt jeden Tag ein bisschen schlechter» klagt. Gut, könnte natürlich sein, schließlich verstehe ich kein Wort, aber die entspannte Abendstimmung auf der Gran Via del Marqués de Turia lässt mich beinahe glauben, dass die Wörter «Balance-Stepper», «laktosefrei» und «schlechter» im spanischen Wortschatz nicht existieren.
    In Köln ist momentan wohl die halbe Stadt mies gelaunt, weil sie keine Heimniederlagen erträgt, und die andere Hälfte, weil sie keine Fußballfans nach Heimniederlagen erträgt. Und es regnet. Zum ersten Mal sehe ich in unserem Spontantrip so etwas wie Sinn. Dieser Brahmanen-Hesse würde feststellen, dass hier in Spanien das Gefäß voll zu sein scheint, der Geist begnügt, die Seele ruhig, das Herz gestillt. Vielleicht kann man sich ja auch bei einem Tagestrip ein kleines Stück davon einpacken und wieder aus der inneren Tupperdose holen, wenn in zwei Wochen das ausgedruckte Excel-Sheet «Workflow-Koordination» auf dem Schreibtisch liegt.
    Wir machen bei einem Supermarkt halt, der den fast heilig anmutenden Namen Mercadona trägt. Muss ich mir auf jeden Fall für den brasilianischen Fußballspieler merken. Ein Blick auf die Obst- und Gemüseregale genügt, um zu sehen, dass meine Marktanalystin Valerie Haller kurz vor dem Herztod stehen muss. Die Kurse sind im Keller: Zucchini für 1,10 Euro das Kilo, Tomaten im Sechserpack für 77 Cent. Mit sofortiger Wirkung wird das ZDF-Krisenbarometer wieder eingeführt.

    Nach dem Einkauf darf ich endlich mal wieder eine

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