Katerstimmung (German Edition)
drei, manchmal auch vier inhaltsgleiche Dinge aneinanderreiht, verbindet, zusammenklatscht.»
«Das ist der Hesse.» Bei hoher Kunst hört für Wilhelm offensichtlich der Spaß auf. Zeit, ihn zu ärgern.
«Roland Koch? Maddin Schneider?»
«Hermann Hesse. Siddhartha. Geht um das Leben von Buddha.»
«Kann ja sein, aber ich glaube, der Typ war beim Schreiben voll wie ein Brahmanengefäß.» Wilhelm schaut mich mit einem Ach-du-hast-doch-keine-Ahnung-Blick an, den man sich nach 16 Semestern Studium wohl zwangsläufig von seinen Professoren abschaut. Der wird von den Erstsemestern vermutlich ohnehin schon für einen Jungdozenten gehalten. Nach Kleidung und Aussehen für Geschichte. Ob der jemals aus der Uni rauskommt? Vor drei Semestern wollte er das erste Mal mit seiner Abschlussarbeit anfangen, war aber wegen der Proteste gegen die Studiengebühren zu stark eingespannt. Vor zwei Semestern hatte er sich schon fast angemeldet, fand dann aber einige Seminare am ostasiatischen Institut, die er unbedingt noch mitnehmen wollte. «Kann ich mir nicht anrechnen lassen, sind aber wirklich interessant.» Und seit letztem Semester gilt die Prämisse, unbedingt noch so lange dabei zu bleiben, bis die Studiengebühren abgeschafft sind, um ein letztes Semester «in Freiheit» zu studieren.
Mir wird klar, dass mein noch vom Vorabend degeneriertes Gehirn mit Hermann Hesse gerade nicht klarkommt, und verzichte auf weitere multiple Pleonasmen. Kurz darauf kommt Lenny bestens gelaunt zu seinem Platz zurück.
«Muss ich dich jetzt His Airness nennen?»
Lenny zwinkert mir nur zu. Der Mile High Club scheint ein neues Goldmitglied aufgenommen zu haben.
Der Flughafen von Valencia befindet sich tatsächlich in unmittelbarer Nähe von Valencia. Während wir auf die Maschine aus Köln warten, erkundigt sich Wilhelm nach möglichen Rückflügen. Er hat damals nach dem Abi ein freiwilliges soziales Jahr in Ecuador verbracht und kann daher Spanisch. Lenny und ich leider nicht. Noch. Denn dann holt Lenny eine zusammengefaltete Zeitungsseite aus seiner Hosentasche, die der Überschriftengröße nach nur aus dem Franziskanerstift Seniorenblatt oder der BILD stammen kann. «Hab ich vorhin zufällig gefunden», sagt er und zeigt auf eine zweispaltige Tabelle, die mit «Spanisch für den Urlaub» überschrieben ist. Stimmt, die BILD diente Lenny ja am Flughafen Weeze als Tarnkappe auf der Pirsch.
Nach zehn Minuten intensiven Studiums können wir zwar immer noch nicht nach dem Weg fragen, dafür aber problemlos mitteilen, dass wir eine gute Brustmuskulatur haben und uns die Kante geben wollen. Die BILD denkt eben auch beim Sprachunterricht zielgruppig. Ich stolpere über den Satz «El bebé era fruto de un error». Das Kind war nicht gewollt. Wo ist Ana?
Zum vierten Mal an diesem Tag spüre ich dieses Kribbeln in der Magengegend, weil ich glaube, Ana gleich wiederzusehen. Vorhin am Gate, davor schon bei der Ankunft in Weeze und einen Augenblick lang auch heute Morgen beim Aufwachen.
Konzentrierter als ein Scharfschütze beobachte ich die Kölner Urlauberschar schon beim Verlassen des Flugzeugs. Zielobjekt noch nicht identifiziert. Wilhelm ist inzwischen wieder da und meint, wir könnten morgen zurückfliegen. Zu dritt machen wir uns auf, das Gepäckband des Köln-Fluges zu umstellen, noch bevor die Reisenden die Halle erreicht haben. Als ein Pulk lachender, redender und vor allem lauter Menschen durch die Schiebetüren kommt, wird mir wieder bewusst, wieso Köln als nördlichste mediterrane Stadt gilt. Doch es sind die Passagiere des Inlandfluges aus Madrid, die vom Geräuschpegel her aber problemlos als Rheinländer durchgehen könnten. Dann öffnen sich die Türen erneut, und herein strömen meine Landsleute – mit hoffentlich mindestens einer Ausnahme. In Zeitlupe wie die Astronauten auf dem Rollfeld in Armageddon schreiten sie unserem Gepäckband entgegen.
Natürlich ist ganz vorne die obligatorische Frauenausflugsgruppe mit dabei. Es gibt kein Verkehrsmittel, das im Großraum Köln startet, ohne sie: Fünf bis zehn Frauen zwischen 30 und 70, die ihre Männer zu Hause gelassen haben, um mal wieder richtig die Sau rauszulassen. Das äußert sich zumeist in derben Späßen und Kleinen Feiglingen, die die Damenbande im Gegensatz zur Mehrheit der Bevölkerung tageszeitenunabhängig, gerne auch schon um sieben Uhr morgens, produzieren bzw. konsumieren kann. In einer Gruppe dieser Größe macht man normalerweise ja schnell ein oder zwei
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