Katerstimmung (German Edition)
bittersüßen Tropfen weg. Sie dreht sich kurz zu mir, haucht: «Gracias», und gibt mir einen Luftkuss. Ich habe auf einmal irgendwoher einen Eiswürfel und fahre damit über ihren heißen Rücken, die Arme, die Beine. Sie flüstert: «Me pones a cien, mi vida» – hat die BILD mit «Du machst mich total an, Schätzchen» übersetzt, geht bestimmt aber auch so, dass es nicht nach Siebziger-Jahre-Klamotte klingt. Doch dann fährt sie erschreckt zusammen und erinnert mich daran, dass ich Maxi noch vom Kindergarten abholen wollte. Bitte, lieber Gott: Lass diesen Knilch an mir vorübergehen!
Unsere Gruppe wird allmählich größer. Aus allen Ecken des langgezogenen Grünstreifens kommen Freunde und Freundesfreunde unserer auberge espagnole . Wo immer Lenny gerade steckt, entspannter ist es mit Sicherheit hier. Gestern Abend zur gleichen Zeit unterhielt man sich über Fußball, Wetter und Kinofilme – und heute? Na gut, auch über Fußball, Wetter und Kinofilme, aber durch das internationale Flair bekommt jedes Gespräch gleich eine weltmännische Note. Selbst als ich «¡Y después la escena del tigre en el baño!» höre, verdrehe ich nicht die Augen, sondern wünsche dem pickligen Spanier, dass er mit den Flirttipps 3000 bei der hübschen Französin neben sich punkten kann.
Jede Konversation zwischen Mann und Frau erinnert mich seit gestern zwangsläufig an Ana. Ich frage in die Runde, ob wir nicht langsam mal unsere Kneipentour starten sollten, es sei schließlich schon spät. Allgemeines Gelächter. Tanja klärt mich auf, dass die Spanier vor zwei eigentlich nicht in Bars gehen – dafür dann aber auch oft bis sieben oder acht bleiben. Langsam verstehe ich, warum Mauro abends frühstückt.
Proportional zur Lautstärke wächst auch der Müllberg leerer Colaflaschen, Weinpackungen und Plastikbecher. Genau diese unnatürlichen Erhebungen in öffentlichen Gartenanlagen sind wohl der Grund, warum solche botellóns inzwischen verboten wurden, wie mir Tanja wenig später erzählt. Oder besser gesagt entgegenkeucht. Denn nachdem Álvaro das Anrücken einer Polizeipatrouille mit einem Warnruf in Gol-Gol-Gol-Lautstärke ankündigt, springen alle auf und rennen Richtung Parkausgang. Ich fühle mich irgendwie jung, wild und gut, als wir außer Atem den sicheren Hort der Hauptstraße erreicht haben. Mein Handy klingelt. Lenny.
«Ja?», japse ich. Schon paradox, meistens ist er außer Atem, wenn wir samstagnachts telefonieren. «Wie ist es im Bananas?»
«Bin nicht mit.»
«Und wo bist du?»
«Im Bett.»
«Klar, His Airness.»
«Nee, ich liege gerade alleine in einem Dreibettzimmer im NH Center Hotel. War mit den Flugzeugtanten was trinken, aber hatte keine Lust mehr auf die und hab wieder den Fischallergiker rausgeholt.»
«Beim Trinken?»
«Ja, die blicken doch nix. Hab Alexandra gefragt, ob da zufällig Guavensirup in dem Cocktail war, von dem ich vorher unbedingt probieren sollte. Und dann erzählt, dass der oft mit einem Ausscheidungsprodukt von Forellen gestreckt wird, weil die Guaven so teuer – ach egal, wollt ihr vorbeikommen?»
«Du hast die alleine feiern geschickt und willst jetzt deren Hotelzimmer verwüsten?»
«Na ja, so viele seid ihr jetzt ja auch nicht, und deren Disco-Shuttle fährt eh erst wieder ab fünf. Bis dann sind wir ja weg.»
Ich müsste ihn an dieser Stelle eigentlich unterbrechen und darauf hinweisen, dass unsere Gruppe inzwischen auf gut zwanzig Personen angewachsen ist. Aber ich spüre, dass das einen legendären Abend im NH Center Hotel verhindern könnte, und keuche: «Bis gleich!»
Wir sind noch so anständig, das zentral gelegene Hotel in Kleingruppen und über verschiedene Zugangswege zu betreten. Als wir im dritten Stock angekommen sind, steigen dann aber nur wir aus dem Aufzug – unsere guten Sitten fahren in die Tiefgarage.
Mit einem zünftigen spanischen Torschrei poltert Álvaro gegen Zimmer 312. Er scheint sich gemerkt zu haben, was Lenny gefällt. Dessen Kinnlade fällt beim Öffnen der Tür fast auf den roten Flurteppich. Egal. Wer sich in bester Schwiegermutter-Manier im fremden Haushalt an allem und jedem stört und dann beleidigt abzieht, kann froh sein, dass die Großfamilie überhaupt noch zu Besuch kommt.
Man sagt, Studenten lernen während eines Auslandssemesters nicht wirklich viel. Die Kunst, eine Party in wenigen Minuten aus dem Boden zu stampfen, offenbar schon. Selbst Hollywoods erfahrenste Szenenbildner hätten es vermutlich nicht geschafft, die
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