Katerstimmung (German Edition)
ließ die Vögel ein paar Runden drehen.
Da traf ich meine Nachbarin, sie fragte, wie’s mir geht
Und ob mein Angebot immer noch steht.
Ich nahm sie mit nach Hause. Ich bin ja nicht verklemmt.
Ich machte nur zur falschen Zeit das falsche Kompliment.
Wir turtelten im Treppenhaus, es fing nicht übel an,
Na ja, wozu ist man denn ein Mann?
Doch kurz vor der Tür blieb ich stehen,
Ich wollte noch was klären und dann zur Sache gehen:
Uh, Baby, bist du gut zu vögeln? Kaufst du gerne Vogelfutter ein?
Denn mit meinen Vögeln bin ich schon seit Jahr und Tag allein.
Uh, Baby, bist du gut zu vögeln? Kaufst du gerne Vogelfutter ein?
Meine größte Sorge könnte dann wie weggeblasen sein.
Mit offenem Mund mustere ich die Zuhörerschaft. Irgendwer muss doch jetzt aufstehen und uns hochkant rausschmeißen. Doch keine Welle der Entgeisterung schlägt Dr. Kamphaus entgegen. Stattdessen nachdenkliche Blicke, zustimmendes Nicken, überspielte Ratlosigkeit.
«Nun ja, worum geht es in diesem Gedicht?» Wilhelms Blick wabert durch die Reihen und bleibt an Lenny und mir kleben. Er sieht aus, als hätte er in diesem Moment selbst noch keine Ahnung, was er gleich erzählen wird. «Beginnen wir mit der Überschrift. Bist du gut zu vögeln? Fällt Ihnen da etwas auf?»
Nach Rücksprache mit seinem Nebenmann meldet sich ein gelbes Sakko, aus dem eine von dünnem weißem Haar gesäumte Glatzenplatte ragt. Mehr kann ich von hier hinten nicht erkennen.
«Vögeln ist Substantiv, nein? Also man muss es großschreiben.»
«Ganz genau! Mit ‹gut zu Vögeln› ist die freundliche Haltung gegenüber Federtieren gemeint. Wieso schreibt Wackel dieses Wort dann klein? Nun …»
Wilhelm starrt auf die Folie, als hoffe er, dort irgendwo von einer Idee angesprungen zu werden.
«Es … es geht um Einsamkeit. Und um Hass. Der Sprecher des Gedichts, das lyrische Ich, hat … das sehen wir später noch … eine starke innere Ablehnung gegen Vögel. Unterbewusst. Er möchte sie erniedrigen, er möchte sie sozusagen einen Kopf kleiner machen, indem er ihnen die Großschreibung verweigert. Eine subtile Form des Widerstandes gegen das Böse.» Wilhelm schaut freudig zu uns herüber. Er hat den ersten Punkt gemacht.
Eine deutschverdächtig blonde Frau meldet sich zu Wort: «Ist dieses Wort ‹vögeln› nicht vielleicht auch als Annominatio zu verstehen?»
Bitte was? Sind wir jetzt wieder im Schmuddelbereich? Klingt wie eine unheimliche Sexpraktik. Seinem ratlosen Gesicht nach ist auch Wilhelm überfordert.
«Ja, ja, da sagen Sie etwas Wichtiges.» Er trinkt erst einmal einen Schluck. «Welche Form von Annominatio meinen Sie denn? Da gibt es ja durchaus verschiedene …»
Etwas unsicher antwortet die Blonde: «Ach so? Ich kenne Annominatio nur als Wortspiel mit Wörtern gleicher Lautung, aber unterschiedlicher Bedeutung. Also dass ‹vögeln› vielleicht auch als Verb aufgefasst werden kann?»
«Genau! Dann habe ich Sie ja richtig verstanden. Wird ‹vögeln› als Tätigkeit angesehen, bekommt die Frage eine ganz andere Bedeutung.»
Damit hat Wilhelm zweifelsohne recht. Aber wie er das jetzt auf die akademische Ebene ziehen will? Vielleicht sollte er diese Folie mit dem Statuensex noch einmal auflegen.
«In derber Redensweise meint es heutzutage die Ausübung von Geschlechtsverkehr. Doch man muss wissen, dass das althochdeutsche ‹fogalon› eigentlich ‹Vögel fangen› bedeutete. Das lyrische Ich sucht somit nicht, oder zumindest nicht nur, nach einer Sexualpartnerin, sondern auch nach einer Person, die es schafft, die bösen Vögel einzufangen und somit unschädlich zu machen. Wackel gibt uns somit bereits mit der Überschrift die Aufforderung mit, hinter die scheinbar platten Bilder und Redewendungen zu blicken, um das Gedicht richtig zu verstehen. Man nennt diesen Stil auch Pseudo-Stupidität. Der Autor verwendete ihn bereits in seinem frühen Lieder-und-Gedicht-Zyklus Des Wackeldackels Sackel .»
Langsam kommt Wilhelm in Fahrt. Offensichtlich gefällt er sich in der Kamphaus-Rolle.
«Schauen wir uns einmal die erste Strophe an.»
Er wartet und blickt angestrengt auf die Folie. Das Publikum scheint das als Kunstpause zu akzeptieren.
« Ich glaub, du hast ’en Vogel. Diese Redewendung geht auf einen alten Volksglauben zurück. Demnach wird Geistesgestörtheit durch Vögel verursacht, die im Gehirn des Menschen nisten. Durch diesen Vers wird die Frage aufgeworfen, ob man die im Gedicht erwähnten Vögel
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