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Katerstimmung (German Edition)

Katerstimmung (German Edition)

Titel: Katerstimmung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Reinartz
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sinnfreien Zeilen Gedanken gemacht als der Partynator beim Dichten. Unser Nachwuchsdozent blüht trotz des literarischen Unkrauts geradezu auf.
    «In der zweiten Strophe gerät das lyrische Ich nun mit einer Person anderen Geschlechts in Kontakt. Ausgerechnet nach dem Kinobesuch trifft es seine Nachbarin, die sich sofort nach seinem Wohl erkundigt – ein weiterer Hinweis auf die psychische Angeschlagenheit des lyrischen Ichs. Die Anapher Ich nahm , ich bin , ich mach erinnert den Leser sofort an Caesars ‹Ich kam, sah und siegte›. In der Tat befindet sich das lyrische Ich in diesen Versen auf einem emotionalen Höhenflug, es zeigt ein sonst oft vermisstes Selbstbewusstsein: Es traut sich, die Nachbarin mit nach Hause zu nehmen, befindet sich somit in der aktiven, beinahe überlegenen Position und sinniert über die Gründe seines bisherigen Misserfolges. Das Resultat seiner Denkanstrengungen fällt jedoch erneut dürftig aus. Das lyrische Ich erkennt nicht die Vögel, das Diabolische, zu dem es sich hingezogen fühlt, als wahre Ursache seines bisherigen Scheiterns an, sondern kommt zu dem Schluss, nur zur falschen Zeit das falsche Kompliment zu machen. Wie so oft kratzt das lyrische Ich hiermit nur an der Oberfläche und dringt nicht bis in tiefere Bewusstseinssphären ein, was ihm den Weg zur Selbsterkenntnis versperrt.»
    Mit großen Augen schaut Wilhelm seine Zuhörer an. Inzwischen fegt er über die Bühne wie Steve Jobs damals bei der iPad-Präsentation. Das hier ist seine große Show.
    «Und dann ist der Gipfel der Emotionalität erreicht: Wir turtelten im Treppenhaus kann als unreine Alliteration verstanden werden, die dem Vers etwas verspielt Heiteres verleiht, durch es fing nicht übel an noch weiter verstärkt. Doch anschließend die Katastrophe: Das lyrische Ich schafft es nicht, sich von den Vögeln zu lösen, und fühlt sich gezwungen, seiner Begleiterin die Vögelfrage zu stellen. Die räumliche Nähe zu den Vögeln versetzt es in jene innere Abwehrhaltung, die es gerade zu überwinden versucht hat.»
    Was für einen Schwachsinn auch immer der da redet, allmählich bekomme sogar ich Mitleid mit dem armen Kerl, der seinen inneren Schweinehund nicht überwinden kann und mit der Nachbarin im Treppenhaus steht. Beziehungsweise Schweinewackeldackel. Oder Schweinevogel. Wilhelm reckt bedeutungsvoll einen Finger in die Luft, spricht langsam und betont jede Silbe:
    «Uh, Baby, bist du gut zu vögeln?»
    Er lässt den Satz erst einmal ein paar Sekunden im Raum stehen und blickt ins Publikum.
    «Es ist die naive Sichtweise des lyrischen Ichs, das den Vogel als Kern des Bösen nicht erkennt und ihn sogar noch füttern will. Wackel geht noch weiter: Er stigmatisiert das lyrische Ich als neoliberal und oberflächlich, da er es fragen lässt: Kaufst du gerne Vogelfutter ein? Wird man denn dadurch ‹gut zu Vögeln›, dass man Vogelfutter kauft? Kann nur der Reiche ein Vogelfreund sein? In meinen Augen wagt Wackel hiermit eine deutliche Kapitalismuskritik.»
    Mit Sicherheit. So wie Jürgen Drews’ Hymne 6 mal 6 am Tag eine Fortschrittskritik ist, da er auf die Nebenwirkungen moderner Pharmaka am Beispiel Viagra eingeht.
    «Und am Ende spricht das lyrische Ich von einer Sorge , die es loszuwerden gilt. Es ist die innere Sorge, die Angst, die das lyrische Ich vor den Vögeln hat. Die Formulierung könnte dann wie weggeblasen sein entnimmt es der Sprache des Wilden Westens, in der sich verfeindete Cowboys nicht erschießen, sondern salopp ‹das Gehirn wegblasen›. Das lyrische Ich ist jetzt sogar selbst gewaltbereit. Dass ‹weggeblasen› lediglich eine plumpe Anspielung auf Oralsex sein könnte, scheint mir bei der Komplexität des Textes und dem Tiefsinn des Autors ausgeschlossen.»
    Es gibt niemanden im Raum, der Dr. Wilhelm Kamphaus widersprechen wollte. Er legt auch noch die Folie mit den weiteren Strophen des Gedichtes auf und interpretiert sie runter wie Peter Scholl-Latour den Nahostkonflikt. Rechtzeitig erinnert er sich auch noch an die alte Weisheit aus dem Deutschunterricht: Wenn gar nichts mehr geht, beziehe das Gedicht auf den Nationalsozialismus! Klappt immer. So wird bei Dr. Kamphaus ein Papagei, der Telefonsex mit ’ner Nummer auf Hawaii macht, zu einer Metapher für Winston Churchill, der die USA um Hilfe im Kampf gegen Nazideutschland bittet. Ich bin mir nicht sicher, ob Wackels Vers oder Wilhelms Interpretation absurder ist. Auf jeden Fall haben beide nicht mehr alle Papageien auf der

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