Katerstimmung (German Edition)
von Buddha entfernt als sein Kollege Latino-Owen. Eigentlich braucht er auch noch einen Namen. Ich taufe ihn Ernesto Estricto. Sogar die Essensreste auf dem Boden inspiziert er. Aber dass man gemahlene Chipsreste effektbringend rauchen, spritzen oder ziehen kann, wäre mir neu. Wieso gibt es eigentlich Koks oder Haschisch nicht in den Geschmacksrichtungen Sour Cream & Onion oder Smoky Bacon? Ernesto schleicht langsam um den Toyota, und seine unverändert missmutige Miene bestätigt mich in meiner Namenswahl.
«Scheiße, der geht zum Kofferraum», raunt mir Wilhelm zu. Na und? Solange wir da drin keine Drogendealer liegen haben. Plötzlich durchfährt mich dieser Sekundenblitz, der normalerweise einschlägt, wenn mir in der Straßenbahn auffällt, dass ich meinen Haustürschlüssel vergessen habe. Mist! Haben wir ja doch. Sombrero, Bart und Sonnenbrille. Sofern Ernesto das Video gesehen hat, wird er das definitiv als die unsterblichen Reste der Tiefgaragengringos identifizieren. Er bleibt vor dem Kofferraum stehen und blickt in die Runde. Ich schaue unauffällig auf den Boden. Vielleicht geht er ja einfach weiter.
«Por favor, abra el maletero.» Oder auch nicht.
«Was heißt das?», fispel ich vorsichtig, ohne Wilhelm anzuschauen.
«Wir sollen den Kofferraum aufmachen.»
Carlos greift neben das Lenkrad und zieht seelenruhig den Schlüssel ab. Der arme Kerl weiß immer noch nicht ansatzweise, was hier gespielt wird.
«Das geht nicht! Da liegt doch unser Dealer.»
Auf der anderen Wagenseite muss Carlos nur noch an Lenny vorbei, um zum Kofferraum zu kommen.
«Mach was, Lenny!», zische ich nervös.
«Was denn?»
«Brech den Schlüssel ab.»
«Und wie kommen wir dann hier weg?»
«Mit der Polizei. Aber wenn du das nicht machst, erst recht!»
Señor Estricto bemerkt unser hektisches Gespräch und schaut gewohnt grimmig. Ich würde mich in diesem Moment gerne am Riemen reißen, aber irgendwie finde ich diese Redewendung abstoßend. Ich kenne eigentlich nur ein Körperteil, auf das der Begriff Riemen passt. Und an dem würde ich mich ungerne reißen.
Lenny guckt noch einmal zu uns rüber. Wir nicken. Dann greift er nach Carlos’ Schlüssel, wird aber genauso rustikal weggeschoben wie vorhin die Pommes-Stehtafel. Der Typ hat eine üble Strandgang abgehängt, da wird der mit Lenny allemal fertig. Carlos steht am Kofferraum.
«Wilhelm, wir müssen den ablenken!»
«Wie denn?»
«Ich weiß nicht! Irgendwas! Jetzt!»
Wilhelm glotzt mich ratlos an: «Ich könnte nur …»
«Mach!»
«Sechs Minuten noch im Wankdorf-Stadion in Bern, keiner wankt, der Regen prasselt unaufhörlich hernieder, es ist schwer, aber die Zuschauer, sie harren nicht aus. Wie könnten sie auch! Eine Fußballweltmeisterschaft ist alle vier Jahre, und wann sieht man ein solches Endspiel? So ausgeglichen, so packend?»
Was ist denn jetzt los? Lenny, Carlos, Ernesto und ich starren Wilhelm verwirrt an, der in astreinem Fußballkommentatorenton der Nachkriegsjahre weiterhetzt.
«Jetzt Deutschland am linken Flügel durch Schäfer, Schäfers Zuspiel auf Morlock wird von den Ungarn abgewehrt, und Bozsik, immer wieder Bozsik, der rechte Läufer der Ungarn, am Ball. Er hat den Ball – verloren diesmal, gegen Schäfer, Schäfer nach innen geflankt – Kopfball – abgewehrt – aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen – Rahn schießt! – Tooooor! Tooooor! Tooooor! Tooooor!»
Sekundenlang herrscht Stille.
«Was sollte das denn?», flüstere ich.
«Keine Ahnung, aber damit habe ich neulich mal einen Kontrolleur abgelenkt. Und ein Date gerettet.»
«Datest du Peter Neururer?»
«Nee, die Frau hatte kein Ticket und …»
«Ah! You are German?», fragt Ernesto Estricto und strahlt auf einmal wie ein bekiffter Atommeiler. «You are here for the congress?»
Wovon auch immer er spricht, besser als Polizeipräsidium klingt es.
«Of course we are!», antworte ich.
Ernesto lässt vom Kofferraum ab und kommt auf uns zu. Es folgt eine kurze Liebeserklärung an Deutschland, das er mal mit seinen Eltern besucht hat. An den grünen Schwarzwald. An die sauberen Straßen. An die vielen Einfamilienhäuser. An Heidi Klum. Deren Vornamen krächzt er aber so sehr «Cheidi», dass ich im ersten Moment glaube, es ginge um einen Kommandeur der Al-Aqsa-Brigaden.
Ernesto Estricto, der diesen Namen inzwischen nicht mehr verdient, besteht darauf, uns persönlich zum Kongress zu geleiten. Carlos versteht erneut die Welt nicht mehr, aber daran hat er sich mit
Weitere Kostenlose Bücher